Die Nachtwächter
Anschließend sprang
er dem Streichholzsucher entgegen, schlang ihm den Arm um die Kehle
und riss ihn von den Beinen.
Es hätte geklappt. Später wusste er, dass es wirklich geklappt hätte. Ja,
es hätte geklappt, wenn nicht die beiden anderen Halunken gewesen wären. Einem von ihnen trat er gegen die Kniescheibe, bevor sich die
Garotte um seinen Hals schloss.
Man zog ihn hoch, und die Narbe heulte Schmerz, als er den Strick zu
lockern versuchte.
»Halt ihn fest«, sagte eine Stimme. »Seht euch nur an, was er mit Jez
gemacht hat. Verdammt! Ich trete ihm in die…«
Die Schatten bewegten sich. Mumm rang nach Luft, und sein linkes
Auge tränte. Er bekam nur halb mit, was geschah. Jemand ächzte, und
einige sehr seltsame Geräusche erklangen, und dann ließ der Druck an
seinem Hals plötzlich nach.
Er sank nach vorn, keuchte und kam mühsam auf die Beine. Zwei
Männer lagen auf dem Boden. Einer von ihnen krümmte sich und
blubberte leise. In der Ferne, und die Entfernung wuchs schnel , rannte
jemand.
»Zum Glück haben wir dich noch rechtzeitig gefunden«, sagte eine
Stimme direkt hinter Mumm.
»Für einige andere war es kein Glück, Schätzchen«, sagte eine Stimme
direkt daneben.
Rosie trat vor und löste sich aus den Schatten. »Du solltest besser mit
uns zurückkehren. Wenn du weiter so herumläufst, stößt dir früher
oder später etwas zu. Komm. Natürlich bringe ich dich nicht zu mir…«
»Natürlich nicht«, murmelte Mumm.
»Aber ich schätze, Moosig kann einen Platz für dich finden.«
»Moosig Rasen!«, entfuhr es Mumm. Ihm wurde plötzlich
schwindelig. »Das ist er! Der Doktor! Ich erinnere mich!« Er versuchte,
den Blick des einen müden Auges auf die junge Frau zu richten. Ja, die
Knochenstruktur war richtig. Das Kinn… Mit einem solchen Kinn war
nicht zu spaßen. Ein solches Kinn setzte sich durch. »Rosie… Du bist
Frau Palm!«
»Fräulein Palm«, erwiderte sie kühl, während die Schmerzlichen
Schwestern schrill kicherten.
»Nun, ich meine…« Mumm unterbrach sich. Nur den älteren Damen
ihres Gewerbes gebührte der Ehrentitel »Frau«. Diese Rosie war noch
zu jung…
»Ich habe dich nie zuvor gesehen«, sagte Rosie. »Ebenso wenig wie
Dutzie und Putzie, und sie haben ein erstaunlich gutes Gedächtnis für
Gesichter. Aber du benimmst dich wie der Herr im Haus, John Keel.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Es liegt an der Art, wie du stehst. Offiziere stehen so. Du isst gut.
Vielleicht ein wenig zu gut. Es wäre nicht schlecht für dich, ein paar
Pfund zu verlieren. Und du hast überal Narben. Ich habe sie bei
Moosig gesehen. Deine Beine sind von den Knien abwärts gebräunt,
was auf ›Wächter‹ hindeutet, denn die sind mit bloßen Beinen
unterwegs. Aber ich kenne jeden Wächter in der Stadt, und du gehörst
nicht zu ihnen. Vielleicht bist du beim Militär. Du kämpfst instinktiv
und wirst dabei ziemlich gemein. Das bedeutet, du bist daran gewöhnt,
in einem Handgemenge um dein Leben zu kämpfen, und das ist
seltsam, denn es bedeutet ›Fußsoldat‹, nicht ›Offizier‹. Es heißt, man
hätte dir eine gute Rüstung abgenommen, und auch das weist auf einen
Offizier hin. Aber du trägst keine Ringe, und das heißt wieder
Fußsoldat – Ringe bleiben an Dingen hängen, und auf diese Weise kann
man einen Finger verlieren. Und du bist verheiratet.«
»Woher weißt du das ?«
»Das kann jede Frau feststellen«, sagte Rosie Palm glatt. »Und nun…
pass gut auf. Wir sind nach dem Abendläuten draußen, und das ist
verboten. Um uns kümmert sich die Wache nicht, aber bei dir sähe die
Sache vermutlich anders aus.«
Abendläuten, dachte Mumm. Ausgangssperre. Das lag viele Jahre
zurück. Vetinari hatte nie eine Ausgangssperre verhängt. So etwas war
schlecht fürs Geschäft.
»Ich glaube, ich habe das Gedächtnis verloren, als man mich
überfal en hat«, sagte er. Das klang gut, fand Mumm. Er brauchte jetzt
vor al em einen ruhigen Ort, an dem er nachdenken konnte.
»Ach? Und ich glaube, ich bin die Königin von Herscheba«, erwiderte
Rosie. »Du solltest Folgendes nicht vergessen, werter Herr: Ich helfe dir
nicht, weil ich an dir interessiert bin, obgleich sich eine gewisse makabre Faszination mit der Frage verbindet, wie lange du wohl am Leben
bleibst. Wäre es nicht eine kalte, nasse Nacht gewesen, hätte ich dich
auf der Straße liegen lassen. Ich bin eine hart arbeitende junge Frau und
möchte nicht in Schwierigkeiten geraten. Aber du
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