Die Nachtwächter
geworden
war, ihm irgendwie das Gehirn zermanscht. Man musste schon ein ganz
besonderer Idiot sein, um zu versuchen, einen gefährlichen Gefangenen
ganz allein zu fesseln. Wenn er das bei Carcer versucht hätte, wäre er
seit fünf Minuten ein toter Idiot.
Der Wärter öffnete die Tür. Mumm stand auf und streckte die Hände
aus. Schnauzi zögerte kurz, bevor er ihm die Schel en anlegte. Es zahlte
sich immer aus, zu einem Wärter höflich zu sein – vielleicht wurden
einem dadurch die Hände nicht auf den Rücken gebunden. Ein Mann
mit beiden Händen vor sich genoss ziemlich viel Freiheit.
»Du gehst vor mir die Treppe hoch«, sagte Schnauzi und hob eine
recht gefährlich aussehende Armbrust. »Wenn du auch nur versuchst,
schnel zu gehen, hnah, trifft dich der Bolzen dort, wo er einen
langsamen Tod bewirkt.«
»Streng, aber gerecht«, sagte Mumm. »Streng, aber gerecht.«
Langsam stieg er die Treppe hinauf und hörte Schnauzis
schnaufenden Atem hinter sich. Wie viele Leute mit einem begrenzten
intel ektuel en Horizont nahm Schnauzi das, was er konnte, sehr ernst.
So hätte er zum Beispiel einen erfrischenden Mangel an Skrupel gezeigt,
von seiner Waffe Gebrauch zu machen.
Mumm erreichte das obere Ende der Treppe und erinnerte sich daran,
stehen zu bleiben.
»Hnah, nach links«, sagte Schnauzi hinter ihm. Mumm nickte sich
selbst zu. Und dann die erste Tür rechts. Die Erinnerungen kehrten
zurück, in einer großen Wel e. Dies war die Sirupminenstraße. Das erste
Wachhaus. Hier hatte al es begonnen.
Die Tür des Hauptmanns stand offen. Der müde wirkende Alte hinter
dem Schreibtisch sah auf.
»Setz dich«, sagte Tilden kühl. »Danke, Schnauzi.«
Mumms Erinnerungen an Hauptmann Tilden waren gemischter
Natur. Er hatte zum Militär gehört, bevor er diesen Job als eine Art
Pension bekam, und das war eine üble Sache für einen hochrangigen
Polizisten. Es bedeutete, dass er sich an die Obrigkeit wandte, Befehle
von ihr entgegennahm und ihr gehorchte. Mumm hingegen hielt es für
besser, die Befehle der Obrigkeit entgegenzunehmen, sie dann durch
ein feines Netz der Vernunft zu filtern und eine großzügige Portion
kreativen Missverständnisses beizugeben, vielleicht auch noch
beginnende Taubheit. Die Obrigkeit begab sich schließlich nur selten
auf das Niveau der Straße herab. Tilden legte zu großen Wert auf
polierte Brustharnische und zackige Paraden. Auch davon brauchte
man etwas, zugegeben. Man durfte nicht zulassen, dass die Leute
herumgammelten. Aber obwohl Mumm es nie laut gesagt hätte: Es
gefiel ihm, hier und dort einen zerbeulten Brustharnisch zu sehen. Es
bedeutete nämlich, dass jemand die Beulen hineingeschlagen hatte. Und
wenn man in den Schatten lauerte, wol te man bestimmt nicht
glänzen…
An der einen Wand hing die Fahne von Ankh-Morpork, ihr Rot zu
einem vagen Orange verblichen. Angeblich salutierte Tilden jeden
Morgen vor ihr. Auf dem Schreibtisch stand ein ziemlich großes
Tintenfass, verziert mit einem goldenen Regimentswappen. Schnauzi
putzte es jeden Morgen auf Hochglanz. Tilden hatte das Militär nie
ganz verlassen.
Doch Mumm brachte dem Alten auch Verständnis entgegen. Er war
ein erfolgreicher Soldat gewesen, soweit man das sagen konnte.
Meistens hatte er auf der Seite des Siegers gestanden. Mit guter, wenn
auch langweiliger Taktik hatte er mehr Feinde getötet als eigene Männer
durch eine aufregende, aber schlechte Taktik. Er war auf seine eigene
Art und Weise freundlich und einigermaßen gerecht gewesen. Die
Männer der Wache hatten Kreise um ihn gebildet, ohne dass er etwas
davon bemerkte.
Tilden bedachte Mumm mit dem Langen-Blick-in-Verbindung-mit-
Papierkram. Er sollte folgende Botschaft vermitteln: Wir wissen alles
über dich, und deshalb sol test du uns al es über dich erzählen. Aber er
war nicht besonders gut darin.
Mumm erwiderte den Blick ungerührt.
»Wie lautet dein Name?«, fragte Tilden, als er begriff, dass Mumm der
bessere Starrer war.
»Keel«, sagte Mumm. »John Keel.« Und… Ach, zum Henker… »Hör
mal, du hast da nur ein Stück Papier, das irgendetwas bedeutet, und
zwar den Bericht des Feldwebels, wenn er überhaupt schreiben kann.«
»Ich habe hier zwei Dokumente, um ganz genau zu sein«, sagte der
Hauptmann. »Das zweite betrifft den Tod von John Keel. Nun?«
»Für eine Prügelei mit der Wache?«
»Angesichts der derzeitigen angespannten Lage wäre das genug für die
Todesstrafe«, sagte Tilden
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