Die Nachtwächter
Nacht, die Schwierigkeiten witterten. Mumm lief zur Königsstraße, stieß andere Fußgänger beiseite und wich gelegentlich einem Karren aus.
Er schöpfte neue Hoffnung, als er die Teekuchenstraße erreichte und sich der Zufahrt von Nummer Eins zuwandte. Zwar wusste er nicht, was er hier vorfinden würde, aber der Ort sah normal aus, und es brannten Fackeln zu beiden Seiten der Tür. Vertrauter Kies knirschte unter seinen Füßen.
Er wollte an die Tür klopfen, überlegte es sich dann aber anders und läutete.
Wenige Momente verstrichen, und dann öffnete ein Butler die Tür.
»Dem Himmel sei Dank!«, stieß Mumm hervor. »Ich bin’s. Hab einen Kampf hinter mir. Nichts, um das man sich Sorgen machen müsste. Wie geht es…«
»Was willst du?«, fragte der Butler kühl. Er trat einen Schritt zurück ins Licht der Flurlampen. Mumm hatte den Mann noch nie zuvor gesehen.
»Was ist mit Willikins passiert?«, fragte er.
»Mit dem Küchenjungen?« Die Stimme des Butlers war jetzt eisig. »Wenn du ein Verwandter bist, solltest du am Lieferanteneingang fragen. Du müsstest eigentlich wissen, dass es sich für dich nicht gehört, zum Haupteingang zu kommen.«
Mumm fragte sich, wie er dieses Problem lösen sollte, aber seine Faust zeigte weniger Geduld. Sie schickte den Mann zu Boden.
»Hab keine Zeit für so was«, sagte Mumm, stieg über den Butler hinweg und wölbte die Hände zu einem Trichter vor dem Mund.
»Frau Zufrieden? Sybil?«, rief er und fühlte, wie der Schrecken in ihm Knoten bildete.
»Ja?«, kam eine Stimme aus dem Zimmer, das Mumm immer »scheußlicher rosaroter Salon« genannt hatte. Sybil trat in den Flur. Es
war
Sybil. Die Stimme stimmte, und das galt auch für Augen und Haltung. Aber das Alter stimmte
nicht.
Dies war ein Mädchen, viel zu jung für Sybil…
Sie sah von Mumm zu dem Butler auf dem Boden. »Hast
du
Forsythe niedergeschlagen?«, fragte sie.
»Ich… äh… ich… es… es war ein Versehen«, stotterte Mumm und wich zurück. Sybil nahm ein Schwert von der Wand, das nicht allein der Zierde diente. Mumm wusste nicht, ob seine Frau jemals gelernt hatte, mit einer solchen Waffe umzugehen, aber eine rund einen Meter lange scharfe Klinge wirkt bedrohlich genug, wenn sie von einem zornigen Amateur geschwungen wird. Manchmal haben Amateure Glück.
Mumm wich hastig zurück. »Ein Versehen«, wiederholte er. »Das falsche Haus… eine Verwechslung…« Er stolperte fast über den am Boden liegenden Butler und verwandelte das Taumeln in einen Lauf, der ihn durch die Tür hinunterbrachte.
Nasse Blätter strichen über ihn hinweg, als er an den Sträuchern vorbei zum Tor wankte. Dort lehnte er sich an die Mauer und schnappte nach Luft.
Die verdammte Bibliothek! Hatte er nicht schon einmal gehört, dass man dort durch die Zeit gehen konnte? All die vielen magischen Bücher zusammengepresst… Das ergab
Seltsames.
Sybil war so jung gewesen. Sie hatte wie sechzehn ausgesehen! Kein Wunder, dass es am Pseudopolisplatz kein Wachhaus gab! Es war erst vor einigen Jahren eingerichtet worden!
Regenwasser durchdrang die billige Kleidung. Zu Hause… irgendwo… wartete ein großer Ledermantel auf ihn, gut geölt, herrlich warm…
Denk nach, denk nach! Gib dich nicht dem Schrecken hin…
Sollte er versuchen, mit Sybil zu reden und ihr alles zu erklären? Immerhin war sie Sybil. Nett zu durchnässten Geschöpfen. Doch selbst ein besonders weiches Herz mochte sich erhärten, wenn ein grober, verzweifelter Mann mit einer frischen Narbe und Kleidung hereinplatzte und behauptete, der zukünftige Gemahl zu sein. Eine junge Frau konnte so etwas falsch verstehen, und das wollte er vermeiden, solange sie ein Schwert in der Hand hielt. Außerdem lebte Lord Käsedick vermutlich noch, und er war ein blutrünstiger alter Teufel gewesen, soweit Mumm wusste.
Er sackte an der Mauer in sich zusammen und griff in die Tasche, um eine Zigarre hervorzuholen. Erneut zitterte das Entsetzen in ihm.
Die Tasche enthielt nichts. Überhaupt nichts. Weder Schnaufkrauts Dünne Panatellas noch ein Etui…
Das Etui war eine Sonderanfertigung für ihn gewesen. Es war leicht gewölbt und steckte in seiner Tasche, seit Sybil es ihm geschenkt hatte. Es war so sehr Teil von ihm, wie ein
Ding
Teil eines Menschen sein konnte.
»Wir sind hier, und dies ist jetzt.« Obergefreiter Besuch, ein strenger Gläubiger der omnianischen Religion, deklamierte manchmal dieses Zitat aus seinem heiligen Buch. In die weniger hochtrabende
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