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Die Nadel.

Titel: Die Nadel. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follettl
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fand ich die Negative.«
    »Und das genügt dir als Beweis, um mich
     töten zu wollen?« sagte Faber verblüfft.
    »Das und was du in meinem Haus mit
     meiner Frau gemacht hast. Kein Engländer würde sich so benehmen.«
    Faber konnte
     ein Lachen nicht unterdrücken. »Wo sind die Negative jetzt?«
    »In meiner
     Tasche.«
    »Gib sie mir, und ich ziehe dich hoch.«
    »Du mußt sie dir selbst
     nehmen – ich kann nicht loslassen.«
    Faber legte sich flach auf den Bauch und
     schob die Hand unter Davids Ölhaut in die Brusttasche seiner Jacke. Er seufzte befriedigt
     auf, als seine Finger die Filmdose berührten und herauszogen. Er schaute nach: Kein Film
     schien zu fehlen. Er steckte die Dose in seine Jackentasche, knöpfte die Klappe zu und
     schob die Hand wieder zu David hinunter.
    Er packte den Strauch, an den David sich
     klammerte, und riß ihn mit einem heftigen Ruck aus.
    David schrie: »Nein!« Er tastete verzweifelt nach einem Halt, während
     seine andere Hand unerbittlich aus der Felsspalte glitt.
    »Das ist nicht fair!«
     brüllte er. Dann löste sich seine Hand aus der Spalte.
    Zunächst schien er mitten
     in der Luft zu hängen, dann fiel er schneller und schneller, prallte zweimal gegen die
     Klippe und klatschte mit einem gewaltigen Platschen ins Wasser.
    Faber wartete eine
     Weile, um sicher zu sein, daß David nicht wieder auftauchte. »Nicht fair?« murmelte er
     vor sich hin. »Nicht fair? Weißt du nicht, daß Krieg ist?«
    Er blickte ein
     paar Minuten lang hinunter ins Meer. Einmal glaubte er, eine gelbe Ölhaut an der
     Oberfläche aufleuchten zu sehen, doch sie war sofort wieder verschwunden.
    Plötzlich fühlte er sich schrecklich müde. Seine Verletzungen wurden ihm nach und
     nach bewußt: der verwundete Fuß, die Beule am Kopf, die Prellungen überall im
     Gesicht.
    David Rose war ein Narr, ein Aufschneider und ein schlechter Ehemann
     gewesen, und er hatte vor seinem Tod um Gnade gebettelt. Doch er war auch ein mutiger Mann
     gewesen, und er war für England gestorben – wie er es sich gewünscht hatte.
    Faber fragte sich, ob sein eigener Tod genauso ehrenvoll sein würde.
    Endlich
     wandte er sich vom Klippenrand ab und ging zu dem umgestürzten Geländewagen zurück.

FÜNFTER TEIL – KAPITEL 28
    ercival Godliman fühlte
     sich gestärkt, entschlossen und sogar – was selten vorkam – beflügelt.
    Bei
     näherem Nachdenken bereitete diese Tatsache ihm Unbehagen: Durchhalteparolen machen doch
     nur auf die breiten Massen Eindruck, Intellektuelle hingegen halten sich in dieser Hinsicht
     nicht für anfällig. Und doch – obwohl er wußte, daß der Auftritt des großen Mannes
     sorgfältig geplant, die Crescendi und Diminuendi seines Redeflusses so exakt gesetzt waren
     wie die Noten einer Symphonie – hatte dies auf ihn gewirkt.
    Er ging in sein Büro
     zurück und brannte darauf, irgend etwas zu tun.
    Godliman ließ seinen Schirm
     in den Ständer fallen, hängte seinen nassen Regenmantel auf und betrachtete sich im
     Spiegel an der Innenseite der Schranktür. Zweifellos hatte sich sein Gesicht irgendwie
     verändert, seitdem er zu Englands Agentenjägern zählte. Vor kurzem war ihm zufällig ein
     Photo von 1937 in die Hände geraten, das ihn mit einer Gruppe von Studenten bei einem
     Seminar in Oxford zeigte. Damals hatte er älter ausgesehen als heute: bleiche Haut,
     dünnes Haar, die stoppelige Rasur und die schlechtsitzenden Kleider eines Pensionärs. Das
     dünne Haar war verschwunden; von einem mönchsartigen Haarkranz abgesehen, war er jetzt
     kahl. Seine Kleidung war die eines Managers, nicht die eines Professors. Ihm schien –
     vielleicht bildete er es sich nur ein –, daß sein Kinn jetzt mehr Entschlossenheit
     ausdrückte und seine Augen heller waren. Außerdem gab er sich mehr Mühe beim
     Rasieren.
    Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und zündete eine Zigarette
     an. Diese neue Angewohnheit stimmte ihn nicht froh; er hatte einen Raucherhusten
     entwickelt, versucht, es aufzugeben und festgestellt, daß er süchtig war. Aber rauchten
     jetzt im Krieg nicht fast alle Engländer? Sogar einige Frauen? Nun ja, sie übten
     schließlich Männerberufe aus – also durften sie auch männlicheLaster haben. Der Rauch biß ihn in der Kehle, machte ihn husten. Er
     drückte die Zigarette in dem Deckel aus, den er als Aschenbecher benutzte (Porzellan war
     selten).
    Das Problem mit der Beflügelung, das Unmögliche wagen zu wollen, bestand
     darin, daß die

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