Die Nadel.
Normandie hinweist – wovon ich überzeugt bin –, werde ich die Panzer
verlegen.«
Von Rundstedt fragte leise: »Und wenn er nicht von sich hören
läßt?«
»Dann werde ich die Lage trotzdem neu überdenken.«
Von Rundstedt
hielt diesen Vorschlag für annehmbar. Er verneigte sich also und sagte: »Mit Ihrer
Erlaubnis kehre ich auf meinen Posten zurück.«
»In Ordnung.«
Von Rundstedt stand auf, salutierte und ging
hinaus. In dem mit Kupfer ausgekleideten Lift schien sich sein Magen umzudrehen, während
er die einhundertdreißig Meter zu der unterirdischen Garage hinabbefördert wurde. Er
wußte nicht, ob das Gefühl durch die Geschwindigkeit der Abfahrt oder durch den Gedanken
hervorgerufen wurde, daß das Schicksal seines Landes in den Händen eines einzigen Spions
lag, von dessen Aufenthaltsort niemand wußte.
SECHSTER TEIL – KAPITEL 31
ucy wachte langsam
auf. Nur allmählich, träge, stieg sie aus der behaglichen Leere tiefen Schlafes durch die
tiefen Schichten des Unterbewußtseins nach oben und nahm die Welt um sich herum zunächst
nur Stück für Stück wahr: zuerst den harten, warmen Männerkörper neben sich; das
ungewohnte kleine Bett; den Lärm des Sturms vor dem Haus, der so wütend und unermüdlich
wie an den beiden Tagen zuvor tobte; den schwachen Geruch der Haut des Mannes; ihren über
seinen Körper gelegten Arm, ihr Bein, das sie über das seine gelegt hatte, als wolle es
ihn festhalten; ihre gegen seine Seite gepreßten Brüste; das Tageslicht, das an ihre
Augenlider drang; den regelmäßigen, leichten Atem, der sanft über ihr Gesicht wehte. Und
dann schlagartig – als löse sie ein Rätsel – fügte sich alles in eins, und sie kam
zu der Erkenntnis, daß sie schamlos und ehebrecherisch mit einem Mann zusammen in einem
Bett lag, den sie kaum 24 Stunden zuvor erst kennengelernt hatte. Beide waren sie nackt –
und das im Hause ihres Mannes!
Sie öffnete die Augen und erblickte Jo. Mein Gott
. . . sie hatte verschlafen!
Er stand in seinem zerknitterten Schlafanzug neben dem
Bett, mit zerzaustem Haar, eine arg mitgenommene Stoffpuppe unter dem Arm. Er lutschte am
Daumen und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf seine Mutter und den fremden Mann, die
sich in seinem Bett aneinanderschmiegten. Lucy konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten,
denn zu dieser Tageszeit musterte er fast immer alles so erstaunt, als sei die Welt an dem
Morgen neu erschaffen worden und wunderbar. Sie sah ihn schweigend an und wußte nicht, was
sie sagen sollte.
Dann war Henrys tiefe Stimme zu hören: »Guten Morgen.«
Jo nahm den Daumen aus dem Mund, antwortete: »Guten Morgen«, drehte sich um und ging
aus dem Schlafzimmer.
»Verdammt, verdammt, verdammt«, sagte Lucy.
Henry rutschte im Bett nach unten, bis sein Gesicht mit dem ihren auf
gleicher Höhe war, und küßte sie. Seine Hand glitt zwischen ihre Schenkel und hielt sie
besitzergreifend fest.
Sie stieß ihn zurück. »Um Himmels willen, hör auf.«
»Warum?«
»Jo hat uns gesehen!«
»Na und?«
»Er kann
sprechen. Früher oder später wird er etwas zu David sagen. Was soll ich tun.«
»Nichts. Dann erfährt David es eben. Wäre das so schlimm?«
»Aber ja.«
»Ich verstehe nicht, wieso. Er hat dir unrecht getan, und das sind die Folgen. Du
brauchst dich nicht schuldig zu fühlen.« Lucy merkte plötzlich, daß Henry einfach keine
Ahnung von dem undurchschaubaren Gewirr aus Treue und Pflicht hatte, die eine Ehe
ausmachen. »So leicht ist es nicht.«
Sie stand auf und ging über den
Treppenabsatz in ihr eigenes Schlafzimmer. Dort zog sie Schlüpfer, Hose und Pullover an;
dann fiel ihr ein, daß sie Henrys Kleidung zerschnitten hatte und ihm ein paar von Davids
Sachen leihen mußte. Sie fand Unterwäsche und Socken, ein Strickhemd, einen Pullover mit
V-förmigem Ausschnitt und schließlich – ganz unten im Schrank – eine Hose, die nicht
in Kniehöhe abgeschnitten und zugenäht war. Während der ganzen Zeit beobachtete Jo sie
schweigend.
Lucy trug die Kleider in das andere Schlafzimmer.
Henry war im
Badezimmer verschwunden, um sich zu rasieren. Sie rief durch die Tür: »Die Sachen für
dich liegen auf dem Bett.«
Sie ging nach unten, machte den Herd in der Küche an
und setzte einen Topf mit Wasser auf. Sie wollte gekochte Eier zum Frühstück machen. Sie
wusch Jos Gesicht am Küchenausguß, kämmte sein Haar und zog ihn rasch an. »Du bist
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