Die nächste Begegnung
Konzerte geben. Das wird eine — wie Vater das nennt — bereichernde Erfahrung für mich sein, und das Einzige, woran du denken kannst, ist, dass mir jemand den Schmuck stehlen könnte.«
»In meiner Jugend wäre es undenkbar gewesen, dass zwei Mädchen, die noch nicht einmal ihre Universitätsstudien beendet haben, ohne Aufsichtsperson in Japan herumreisen ...
»Mutter, das haben wir doch schon mehrmals durchgekaut«, unterbrach Yukiko. »Ich bin fast zweiundzwanzig. Im nächsten Jahr, sobald ich mein Examen habe, werde ich hier ausziehen und mir eine eigene Wohnung suchen, vielleicht sogar im Ausland. Ich bin kein Kind mehr. Und Satoko und ich sind durchaus in der Lage, auf uns und einander aufzupassen.«
Yukiko blickte auf die Uhr. »Jetzt muss ich los«, sagte sie. »Wahrscheinlich wartet sie schon an der U-Bahn auf mich.«
Sie schritt graziös auf ihre Mutter zu und streifte ihre Wange mit einem flüchtigen Kuss. Die Umarmung, die sie ihrem Bruder gab, war heftiger und dauerte länger.
»Möge es dir gutgehen, ani-san!«, flüsterte sie ihm ins Ohr. »Pass gut auf dich auf und auf deine bezaubernde Frau, wenn ihr auf dem Mars seid. Wir sind alle enorm stolz auf dich.«
Kenji hatte Yukiko eigentlich nie besonders intim gekannt. Immerhin war er ja auch fast zwölf Jahre älter als sie. Yuki war gerade vier, als Vater Watanabe zum Vorsitzenden der USA- Abteilung von International Robotics ernannt wurde. Also zog die Familie über den Pazifik in einen Villenvorort von San Francisco. Damals hatte Kenji sich nicht besonders um seine jüngere Schwester gekümmert. Sein neues Leben in Kalifornien hatte ihn weit eingehender beschäftigt, ganz besonders nachdem er an der UCLA zu studieren begann.
Die Watanabes waren mit Yukiko 2132 nach Japan zurückgekehrt, Kenji blieb als Jungsemester an der Geschichtlichen Fakultät. Er hatte von da an wenig Kontakt zu Yukiko. Bei den alljährlichen Besuchen daheim in Kyoto nahm er sich stets vor, mehr Zeit mit Yukiko allein zu verbringen, doch schien sich dies irgendwie nie verwirklichen zu lassen. Entweder sie war zu stark mit ihrem Tagesablauf beschäftigt oder seine Eltern hatten zu viele gesellschaftliche Verpflichtungen geplant oder Kenji selbst blieb einfach nicht ausreichend Zeit dafür.
Er spürte leichte Trauer, als er nun unter der Tür stand und Yukiko in der Ferne verschwinden sah. Ich verlasse diesen Planeten, dachte er, und ich habe mir noch nicht einmal die Zeit genommen, meine eigne Schwester kennen zu lernen.
Hinunter Kenji erging sich Frau Watanabe in einer Klagelitanei von gefühlvollen Vorwürfen: Ihr ganzes Leben sei ein Fehlschlag, weil keines ihrer Kinder die geringste Achtung für sie hege und alle sie verließen. Und nun zu allem noch ihr einziger Sohn, der eine Frau aus Thailand geheiratet habe, um der Familie Schmach anzutun, nun ziehe auch er davon, um auf dem Mars zu leben, und sie würde ihn fünf ganze Jahre lang nicht wiedersehen. Was die mittlere Tochter angehe, so hätte diese — und ihr Gemahl, der immerhin Bankier sei — ihr doch wenigstens zwei Enkelkinder geschenkt, die allerdings leider ebenso grau und langweilig geworden seien wie ihre Eltern ...
»Was macht denn Fumiko?«, unterbrach Kenji den Klagegesang seiner Mutter. »Hab ich noch Gelegenheit, sie und meine Nichten zu sehen, bevor ich fahre?«
»Sie wollen morgen Abend von Kobe rüberkommen, zum Dinner«, erwiderte seine Mutter. »Allerdings habe ich keine Ahnung, was ich ihnen vorsetzen soll. Hast du gewusst, dass Tatsuo und Fumiko diesen beiden Mädchen nicht einmal beibringen, Essstäbchen zu benutzen? Kannst du dir so was vorstellend? Ein japanisches Kind, das nicht mit Stäbchen essen kann? Ist denn gar nichts mehr heilig? Wir haben unsere Identität aufgegeben und sind reich geworden. Ich sagte grad neulich zu deinem Vater .. .
Kenji entschuldigte sich und floh vor der mütterlichen Nörgelarie in die Sicherheit des väterlichen Arbeitszimmers. An den Wänden hingen gerahmte Fotos, die Dokumentation des persönlichen und beruflichen Lebens eines Erfolgsmenschen. Zwei der Bilder waren auch für Kenji von besonderem Erinnerungswert. Auf einem klammerten er und sein Vater sich an eine gigantische Siegestrophäe, die der Count ry Club alljährlich den Gewinnern des Vater-Sohn-Golfturniers verlieh. Auf dem anderen Foto überreichte ein strahlender Vater Watanabe dem Sohn Kenji eine große Medaille, nachdem dieser im Gesamt-Kyotoer Universitätszulassungs-Wettbewerb als
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