Die nächste Begegnung
senior. »Ihr Land hat während des Großen Chaos entsetzlich gelitten. Das gesamte ausländische Kapital wurde über Nacht abgezogen, und ihre Wirtschaft brach zusammen.«
»Es gelang uns aber, einige Schwarzafrikaner anzuwerben, insgesamt vielleicht um die hundert, und eine Handvoll Araber. Doch der Großteil der Kolonisten stammt aus den Ländern, die wesentliche Beiträge an die ISA leisten. Damit war aber ja wohl zu rechnen.«
Auf einmal fühlte Kenji sich verlegen. Seit sie das Restaurant betreten hatten, waren die Gespräche ausschließlich um ihn selbst und seine Aktivitäten gekreist. Während der nächsten paar Gänge fragte er deshalb seinen Vater nach dessen Arbeit bei International Robotics. Herr Watanabe, inzwischen oberster Betriebsdirektor des Unternehmens, begann immer vor Stolz geradezu zu glühen, wenn er von >seiner< Firma sprach. Sie waren der Welt größter Produzent von Robotern für den Einsatz in Fabriken und Büros. Die Jahresumsätze platzierten IR, wie das Unternehmen allgemein genannt wurde, unter die fünfzig größten Multis der Welt.
»Nächstes Jahr bin ich zweiundsechzig«, sagte Watanabe senior, den die vielen Schalen Sake zu ungewohnter Redseligkeit anregten, »und ich habe daran gedacht, mich vielleicht zur Ruhe zu setzen. Doch Nakamura sagt, das würde ein Fehler sein. Er sagt, die Firma braucht mich noch ...«
Ehe die Früchte aufgetragen wurden, waren Vater und Sohn längst wieder in eine Diskussion der bevorstehenden Mars- Expedition vertieft. Kenji erläuterte, dass Nai und die meisten anderen Kolonisten aus Asien, die entweder mit der Pinta oder mit der Ninha fliegen würden, sich bereits im japanischen Trainingsgelände in Süd-Kyushu aufhielten. Sobald er selber aus Kyoto abreiste, würde er sich dort mit seiner Frau treffen, und nach zehn weiteren Ausbildungstagen würden sie mit den übrigen Passagieren der Pinta zu einer LEO-Raumstation gebracht. In dieser Low Earth Orbit-Station sollten sie dann noch einmal eine Woche lang ein Schwerelosigkeitstraining absolvieren. Der letzte Schritt ihrer erdnahen Reise wäre dann der Flug an Bord eines Raumschleppers von LEO zur geosynchronen Raumstation GEO-4, wo die Pinta gerade zusammengebaut wurde und gleichzeitig die letzten Checks und die Ausrüstung für die lange Marsreise erfolgen sollten.
Die jüngere Bedienerin brachte jedem ein Glas Cognac. »Die Frau, die du da geheiratet hast, ist wirklich ein großartiges Geschöpf«, erklärte Watanabe senior und trank einen winzigen Schluck. »Ich habe immer schon gefunden, dass Thai- Frauen die schönsten der ganzen Erde sind.«
»Sie hat auch innerliche Schönheit«, fügte Kenji hastig hinzu. Auf einmal vermisste er seine junge Frau sehr. »Und sie ist auch sehr intelligent.«
»Ihr Englisch ist jedenfalls exzellent«, bemerkte Vater Watanabe. »Deine Mutter sagt allerdings, ihr Japanisch sei schrecklich.«
Kenji stellte die Stacheln auf. »Nai hat versucht, Japanisch zu sprechen — das sie im Übrigen nie studiert hat—, weil meine Mutter sich weigerte, Englisch zu sprechen. Das hat sie ganz bewusst getan, damit Nai sich möglichst nicht wohlfühlen sollte .. .
Kenji fing sich gerade noch. Die Verteidigung Nais war dem Anlass nicht angemessen.
» Gomen nasai«, sagte er zu seinem Vater.
Watanabe senior trank erneut von seinem Cognac, diesmal einen längeren Schluck. »Nun, Kenji«, sagte er dann, »es ist das letzte Mal für lange Zeit, zumindest für die nächsten fünf Jahre, dass wir allein beisammen sind. Ich habe unser Mahl und unsere Gespräche sehr genossen.« Er schwieg einen Moment lang. »Aber es gibt da noch etwas, worüber ich mit dir reden möchte.«
Kenji veränderte seine Sitzhaltung (er war es nicht mehr gewöhnt, vier Stunden hintereinander mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden zu hocken) und richtete sich gerade auf, während er gleichzeitig versuchte, Klarheit in seinen Kopf zu zwingen. Aus dem Ton seines Vaters erriet er, dass dieses >noch etwas< eine ernste Angelegenheit sein müsse.
»Das Interesse, das ich an eurer Lowell-Kolonie zeigte, entspringt nicht bloßer törichter Neugier«, begann der alte Watanabe, brach aber sogleich wieder ab, wie um seine Gedanken zu ordnen. »Ende letzter Woche, nach Büroschluss, beehrte mich Nakamura-san in meinem Zimmer und erklärte mir, dass die zweite Bewerbung seines Sohnes für einen Platz in der Lowell Colony gleichfalls abschlägig beschieden worden sei. Er bat mich, ob ich vielleicht mit dir
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