Die nächste Begegnung
sprechen könnte, dass du der Sache einmal nachgehst.«
Das traf Kenji wie ein Donnerschlag. Man hatte ihm nicht einmal eine Andeutung gemacht, dass der Rivale seiner Jugendjahre unter den Bewerbern für die Kolonie sei. Und nun saß da sein Vater und ...
»Ich hatte mit dem Auswahlverfahren der Strafgefangenen für die Kolonie überhaupt nichts zu tun«, erwiderte Kenji sehr langsam. »Das war die Aufgabe einer ganz anderen Projektabteilung.«
Watanabe senior schwieg lange, trank seinen Cognac aus und sagte schließlich: »Unsere Verbindungsleute informierten uns, dass der einzige ernsthafte Widerstand von einem Psychiater ausgeht, einem Dr. Ridgemore aus Neuseeland, der die Ansicht vertritt, dass Nakamuras Sohn — trotz seiner vorbildlichen Führung während der Haft — noch immer kein wirkliches Unrechtsbewusstsein bezüglich seiner Handlungen entwickelt habe ... Ich glaube, du warst persönlich für die Hinzuziehung dieses Dr. Ridgemore zum Selektionsstab verantwortlich.«
Kenji war wie vor den Kopf geschlagen. Sein Vater trug ihm hier nicht eine beiläufige Bitte vor. Er hatte sich umfassend über die Hintergründe informiert. Aber warum ..., fragte sich Kenji, warum ist er so daran interessiert ... ?
»Nakamura-san ist ein brillanter Techniker«, sprach der Vater weiter. »Er hat persönlich viele der Produkte geschaffen, die uns auf unserem Gebiet die Führungsrolle einbrachten. Doch in jüngerer Zeit kamen kaum Neuerungen aus seinem Labor. Tatsächlich begann der Leistungsabfall etwa zu der Zeit, als sein Sohn verhaftet und dann verurteilt wurde.«
Kenjis Vater stützte sich mit dem Ellbogen auf dem Tisch ab und beugte sich zu ihm herüber. »Nakamura-san hat sein Selbstvertrauen eingebüßt. Er und seine Frau mussten Toshio einmal im Monat in dieser Haftwohnung besuchen. Das bedeutet die immer wieder neue Erinnerung für Nakamura-san, welche Schande über seine Familie gekommen ist. Wenn sein Sohn aber zum Mars gehen könnte, dann würde vielleicht ...«
Kenji begriff nur allzu genau, was sein Vater von ihm verlangte. Seit langem unterdrückte Gefühle drohten erneut in ihm aufzubrechen. Er war zugleich zornig und verwirrt. Gerade wollte er ansetzen und dem Vater sagen, dass seine Bitte >unschicklich< sei, als dieser wieder zu sprechen begann.
»Und auch für Keiko und die kleine Tochter ist es eine schwere Belastung. Die Kleine ist jetzt sieben. An jedem zweiten Wochenende machen sie pflichtschuldig die Zugfahrt nach Ashiya ...«
Selbst wenn er sich nicht bemüht hätte, wäre es Kenji nicht gelungen, die Tränen zu unterdrücken, die sich in seinen Augenwinkeln bildeten. Die Vorstellung einer Keiko, die in ihrem Stolz gebrochen und unterwürfig ihre kleine Tochter alle zwei Wochen in den Sperrbezirk zu dem Besuch beim Vater führte — das war mehr, als er ertragen konnte.
»Ich habe grad erst in der vergangenen Woche selber mit Keiko gesprochen«, fügte sein Vater hinzu. »Auf Nakamura- sans direkte Bitte hin. Sie wirkte sehr bedrückt und kläglich. Doch es schien sie ein wenig aufzurichten, als ich ihr sagte, dass ich dich bitten will, dich für ihren Gatten einzusetzen.«
Kenji atmete tief durch und starrte in das ausdruckslose Gesicht seines Vaters. Er wusste, was er zu tun hatte und tun würde. Und er wusste ebenso genau, dass es wirklich >unschicklich< war — nicht >schlecht<, sondern eben nur einfach >anrüchig< ... Jedoch war es sinnlos, sich Gewissensbisse zu erlauben, bei einer Entscheidung, die von vornherein nur so ausfallen konnte.
Kenji kippte den Rest seines Cognacs hinunter. »Du kannst Nakamura-san sagen, dass ich morgen mit Dr. Ridgemore telefonieren werde.«
Und wenn mich meine Intuition trügt ? — Nun, dann habe ich eben eine Stunde Zeit vergeudet, allerhöchstens anderthalb Stunden, dachte Kenji, als er sich aus den Klauen des Familientreffens mit seiner Schwester Fumiko nebst Töchtern mit einer Entschuldigung befreite und hinaus auf die Straße lief. Er wandte sich sofort den Berghängen zu. Es war noch etwa eine Stunde bis Sonnenuntergang. Sie wird da sein, redete er sich ein. Es ist meine einzige Chance, ihr Lebewohl zu sagen.
Zuerst lief er zu dem kleinen Anraku-Ji-Tempel. Er trat in den hondo, wo er Keiko an ihrer Lieblingsstelle zu finden erwartete, vor dem hölzernen Seitenaltar, der zwei buddhistischen Nonnen des zwölften Jahrhunderts geweiht war, die ehedem zu den kaiserlichen Kurtisanen gehörten und seppuku begangen hatten, als der Kaiser Go-Toba ihnen
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