Die nächste Begegnung
ist die ganze Nacht durch geöffnet, knurrte sie. Verschwendet Energie für anrüchige Amüsements.
Es war ihr unmöglich, nicht an Katie zu denken. Solch eine große natürliche Begabtheit, murrte Nicole und fühlte einen dumpfen Schmerz in der Brust. Gegen ihren Willen dachte sie unruhig daran, ob Katie in ihrer illusionistischen Glitzerwelt drüben am anderen Ende der Kolonie wohl jetzt noch auf war. Und eine dermaßen kolossale Vergeudung ihrer Begabung! Nicole schüttelte den Kopf.
Sie und Richard hatten oft über Katie geredet. Gestritten. Es gab überhaupt nur zwei Themen, über die sie sich in die Haare gerieten: Katie und die Politik in New Eden. Auch entsprach es nicht genau den Tatsachen, zu sagen, sie hätten sich über Politik gestritten. Richard war zutiefst überzeugt, dass alle Politiker (außer Nicole und vielleicht Kenji Watanabe) im Wesentlichen ohne jegliche moralische und ethische Prinzipien seien. In der Diskussion gab er scharfe Rundumschläge gegen die geist- und hirnlosen Prozeduren im Senat ab (zuweilen sogar gegen das, was sich in Nicoles Kammer tat) und weigerte sich dann, sich mit so einem miesen Thema noch weiter zu befassen.
Ein anderer Streitpunkt war Katie. Richard behauptete immer wieder, sie, Nicole, gehe viel zu streng mit Katie um. Er wirft mir außerdem vor, dass ich mir nicht genug Zeit nehme für sie. Er behauptet glatt, weil ich mich in die politische Arena unsrer Kolonie gestürzt hätte, wäre ich den Kindern im kritischsten Lebensstadium nur eine , Teilzeitmutter , gewesen.
Und Katie war nun kaum noch jemals zu Hause. Sicher, sie hatte ihr Zimmer im elterlichen Haus, doch sie verbrachte fast jede Nacht in einem dieser supermodernen Apartments, die Nakamura im Vegas-Komplex eingerichtet hatte.
»Und wovon bezahlst du die Miete?«, fragte Nicole ihre Tochter eines Abends, kurz vor den gewöhnlichen peinlichen Auseinandersetzungen.
»Was glaubst du denn, Mutter?«, hatte Katie aggressiv zurückgefragt. »Ich arbeite. Ich hab ziemlich viel Zeit. Ich habe nur drei Kurse an der Uni belegt.«
»Und was für eine Arbeit ist das?«, fragte Nicole.
»Ich bin Hostess, Entertainer ... du weißt schon ... was eben grad nötig ist«, antwortete Katie ausweichend.
Nicole wandte sich von dem Vegas-Glitzer ab. Natürlich ist es ja nur zu begreiflich, sagte sie sich, dass Katie verwirrt ist. Sie hat ja nie eine Jugend gehabt. Dennoch, es sieht nicht so aus, als würde sie sich bessern ... Nicole mühte sich, gegen ihre wachsende Bedrücktheit anzugehen, und begann deshalb in scharfem Schritt weiter den Pfad hinaufzusteigen.
Im Bereich zwischen fünfhundert und tausend Metern war der Berg von kräftigen Bäumen bewachsen, die bereits fünf Meter hoch waren. Der Pfad verlief hier zwischen der Bergflanke und der Außenmauer der Kolonie über einen Kilometer lang durch ein düsteres Gebiet. Nur am Ende, an einem nordwärts gerichteten Aussichtspunkt, gab es eine Schneise in der Schwärze.
Dann hatte Nicole den höchsten Punkt ihrer Bergwanderung erreicht. Sie blieb am Aussichtspunkt stehen und schaute grimmig nach San Miguel hinunter. Und da haben wir den Beweis, dachte sie und nickte heftig mit dem Kopf, dass wir auch hier in New Eden versagt haben ... Auch im Paradies gibt es Armut, Elend und Verzweiflung.
Sie hatte das Problem kommen sehen, ja, sogar kurz vor dem Ende ihrer einjährigen Amtszeit als Interimsgouverneur exakt vorausgesagt. Wie es die Ironie des Lebens wollte, hatte jener Prozess, der zum Entstehen von San Miguel geführt hatte, wo der Lebensstandard nur halb so hoch war wie in den anderen drei Village-Siedlungen New Edens, bald nach der Ankunft der Pinta begonnen. Der erste Kolonistenschub hatte sich vorwiegend im südöstlichen Viertel niedergelassen, das später Beauvois genannt wurde, und damit einen Präzedenzfall geschaffen, einen Trend gesetzt, der sich nach der Ankunft der Ninha noch drastischer akzentuierte. Als die Niederlassungsfreiheitsverordnung verwirklicht wurde, hatten sich fast alle Asiaten entschlossen, unter ihresgleichen in Hakone zu leben, die Europäer, weißhäutigen Amerikaner und Levantiner wählten entweder Positano oder die noch unbesetzten Wohnungen in Beauvois. Die Mexikaner, andere Hispano-Amerikaner, Schwarz-Amerikaner und -Afrikaner zog es nach San Miguel.
Nicole hatte als Gouverneur versucht, die De-fact o- Segregation der Kolonie mittels eines utopischen Umsiedlungsplanes aufzuheben, demzufolge allen vier Villages — entsprechend
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