Die nächste Begegnung
versuchte. Schließlich war Nicole unter einem Baum stehen geblieben und hatte ihre mütterliche Botschaft in Kurzfassung wiederholt. Sie hatte Ellie an beiden Händen gefasst und gesagt: »Ellie-Liebes, der Sex ist eine wichtige Komponente in einer Ehe, aber er ist nicht die wichtigste. Du hast ja noch überhaupt keine Erfahrung damit, also wirst du wahrscheinlich der sexuellen Seite eurer Partnerschaft zunächst einmal keine wundervollen Wonnen abgewinnen können. Aber wenn du und Robert einander liebt, wenn ihr Vertrauen zueinander habt und ihr alle beide freimütig und großzügig einander Freude und Lust schenken und sie empfangen wollt, dann werdet ihr merken, dass von Jahr zu Jahr auch körperlich eure Vertrautheit und Nähe wächst.«
Zwei Stunden vor dem Termin trafen Ellie, Nicole und Nai gemeinsam in der Schule ein. Eponine erwartete sie schon. »Nervös?«, fragte die Lehrerin mit einem dünnen Lächeln. Ellie nickte. »Ich hab eine Heidenangst«, gestand Eponine, »und dabei bin ich doch bloß Brautjungfer.«
Ellie hatte Nicole gebeten, ihre Ehrendame zu sein. Nai Watanabe, Eponine und ihre Schwester Katie waren Brautjungfern. Dr. Edward Stafford, der mit Dr. Turner das leidenschaftliche Interesse für Medizingeschichte teilte, war sein Trauzeuge. Und da Robert Turner außer den Bioten in der Klinik weiter keine engen Freunde besaß, hatte er sein restliches Gefolge für die Zeremonie aus den Angehörigen der Familie Wakefield und deren Freunden gewählt. Kenji Watanabe, Patrick und Benjy waren seine >Bestmen<, die dem Bräutigam in seiner entscheidenden Stunde hilfreich zur Seite stehen sollten.
»Mama, mir ist ziemlich übel«, sagte Ellie, als sie alle in dem zur Brautkammer umfunktionierten Mädchen-Umkleideraum versammelt waren. »Es wäre mir wahnsinnig peinlich, wenn ich auf einmal anfange zu würgen und mir das Brautkleid voll- kotze. Ob ich was essen sollte?«
Nicole hatte so was erwartet. Sie reichte ihrer Tochter eine Banane und einen Becher Yoghurt und versicherte ihr, es sei absolut der Normalzustand für eine Braut, sich bei einem dermaßen einschneidenden Lebensereignis leidlich schwummerig zu fühlen.
Aber Nicoles eigene Nervosität steigerte sich ebenfalls, je mehr Zeit verging, ohne dass ihre Tochter Katie erschien. Als ihr prüfender Blick festgestellt hatte, dass in der Brautkammer soweit alles unter Kontrolle war, ging sie entschlossen hinüber, um mit Patrick zu sprechen. Als sie schüchtern anklopfte und hereingebeten wurde, waren die Männer natürlich bereits fertig angezogen.
»Na? Wie fühlt sich die Brautmutter?«, fragte Richter Myshkin. Der imposante alte Herr sollte die Trauung vornehmen.
»Ein bisschen schwummerig«, antwortete Nicole mit einem schwachen Lächeln. Patrick entdeckte sie im Hintergrund des Männerumkleideraumes, wo er Benjys Anzug zurechtzupfte.
»Und? Wie seh ich aus?«, fragte Benjy, als Nicole näher kam.
»Also ausgesprochen schick«, sagte sie zu ihrem strahlenden Sohn. Dann fragte sie Patrick: »Hast du heut Morgen mit Katie gesprochen?«
»Nein. Aber ich hab sie gestern Abend, wie du es gewollt hast, noch mal an den Termin erinnert ... Ist sie denn noch nicht da?«
Nicole schüttelte den Kopf. Es war schon Viertel nach sechs ... nur noch fünfundvierzig Minuten, bevor die Zeremonie beginnen sollte. Nicole ging wieder in den Gang hinaus, um zu telefonieren, doch der unverkennbare Gestank von Zigarettenrauch verriet ihr, dass Katie nun doch endlich eingetroffen war.
Als Nicole wieder ins Brautzimmer trat, hörte sie Katies laute Stimme: »Nun überleg dir das doch mal, Schwesterchen, heute Nacht wirst du zum ersten Mal 'ne heiße Nummer erleben! WOW! Ich wette, du bibberst jetzt schon wie wahnsinnig in deinem Prachtleib, Kleines.«
»Katie«, sagte Eponine, »ich glaube nicht, dass das sehr passend ...
Nicole trat in den Raum, und Eponine verstummte. »Ja, hallo, Mamma«, sagte Kartie, »du siehst ausgesprochen hinreißend aus. Ich hab schon ganz vergessen gehabt, dass unter diesem Richtertalar sich auch noch eine Frau versteckt.«
Katie paffte Rauch in die Luft und trank aus der Sektflasche, die auf einer Bank stand. »Na, da wären wir also«, erklärte sie großspurig, »um uns die Trauung unsrer Baby-Schwester anzuschauen ...«
»Schluss jetzt, Katie, du bist betrunken!« Nicoles Stimme klang scharf und kalt. Sie nahm die Flasche und die Zigarettenschachtel. »Hör auf, den Clown zu spielen, und zieh dich um ... Das Zeug da kannst du
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