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Die nächste Begegnung

Die nächste Begegnung

Titel: Die nächste Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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genommen. Ich hantierte mit meinen eigenen Schuldgefühlen herum, so gut es ging, weil ich immerhin begriff, dass ich sie immer mal wegstecken müsste, wenn ich für die Mädchen als Mutter irgendwie von Nutzen sein wollte. Michael hingegen reagierte auf Richards Handeln und seine persönlichen Schuldgefühle mit dem Versuch abzuarbeiten, dass er sich tiefreligiösen Praktiken zuwendet. Er liest immer noch mindestens zweimal täglich in seiner >heiligen< Schrift. Er betet jeweils vor und nach jeder Mahlzeit und nimmt oft an Familienaktivitäten nicht teil, um stattdessen >mit GOTT zu kommunizieren<. In Michaels Wortschatz spielt neuerdings der Begriff >Buße< eine sehr vordringliche Rolle.
    In seinem neu aufgeflammten ch ri stlichen Glaubenseifer hat er Simone mit sich gerissen. Mein behutsam protestierender Bremsversuch wurde im Wesentlichen immer ignoriert. Sie ist von dieser Jesusgeschichte hingerissen, obwohl sie ja wirklich nicht die ge ri ngste Ahnung haben kann, worum es da geht. Besonders die >Wunder< begeistern sie. Wie den meisten kindlichen Gemütern fällt es ihr nicht schwer, ihre Skepsis abzuschalten. Ihr Verstand fragt niemals >wie<, wenn Jesus übers Wasser wandelt oder Wasser in Wein umpanscht. Natürlich bin ich nicht restlos fair in meinen Kommentaren. Wahrscheinlich bin ich einfach eifersüchtig auf die enge Beziehung zwischen Michael und Simone. Als Mutter müsste ich ja eigentlich entzückt sein, dass sie sich dermaßen gut vertragen. Sie haben wenigstens einander. Aber die arme Katie und ich können uns noch so große Mühe geben, es gelingt uns einfach nicht, zu einer derart tiefen Beziehung zu kommen.
    Zum Teil rührt das daher, dass wir beide, Katie und ich, enorm stur sind. Sie ist zwar erst zweieinhalb, aber sie besteht darauf, ihr Leben selbst zu organisieren. Ein simples Beispiel — etwa der Aktionsplan für den jeweiligen Tag. Seit den allerersten Tagen unsres Aufenthaltes in Rama habe ich für alle in der Familie die Tagespläne ausgearbeitet. Keiner hat dagegen je ernsthafte Einwände gehabt, nicht einmal Richard. Michael und Simone akzeptieren stets, was ich ihnen empfehle — solange ihnen ausreichend unverplante Zeit übrigbleibt.
    Aber Katie ist da ganz anders. Plane ich einen Spaziergang nach droben in New York vor der Alphabetstunde, will sie es umgekehrt haben. Plane ich Hühnchen zum Abendessen, verlangt sie Schweine- oder Rindfleisch. Nahezu an jedem Morgen gibt es erst mal einen Kampf wegen der Tagesaktivitäten. Und wenn ihr meine Entscheidung nicht passt, dann trotzt sie oder schmollt oder beginnt nach ihrem >Daddy< zu heulen. Das tut dann wirklich weh.
    Michael sagt, ich solle ihren Wünschen nachgeben. Er behauptet, es handle sich da nur um eine Entwicklungsphase. Wenn ich ihm dann aber sage, dass weder Genevieve noch Simone sich je wie Katie aufgeführt hätten, lächelt er bloß und zuckt die Achseln.
    Wir stimmen auch sonst nicht immer überein, Michael und ich, was die Erziehungspraxis betrifft. Wir hatten schon meh rere interessante Streitgespräche über familiäres Leben unter unseren wirklich bizarren Umständen. Einmal war ich dann schließlich über Michaels Behauptung, ich sei zu streng mit den Mädchen, dermaßen verschnupft, dass ich mich entschloss, das Thema Religion anzuschneiden. Ich fragte ihn also, warum es für ihn dermaßen wichtig sei, dass Simone über jede winzige Kleinigkeit im Leben Jesu unterrichtet werde.
    »Jemand muss die Überlieferung fortsetzen«, antwortete er ausweichend.
    »Du glaubst also, es wird etwas weiterzureichen geben? Und wir sind nicht dazu verurteilt, auf immer im Weltall herumzuirren und einer nach dem andern in schrecklicher Einsamkeit zu sterben?«
    »Ich glaube, dass GOTT für alle menschlichen Wesen SEINEN Plan hat«, antwortete Michael.
    »Und was ist dann SEIN Plan für uns?«
    »Das wissen wir nicht«, erwiderte Michael. »Ebenso wenig wie diese Milliarden Menschen, die jetzt noch dort drunten auf der Erde vegetieren, wissen, was ER für sie geplant hat. Der Lebensprozess besteht darin, dass wir nach SEINEM Plan suchen.
    Ich schüttelte den Kopf. Michael sprach weiter. »Verstehst du nicht, Nicole, es müsste für uns sehr viel leichter sein. Uns lenken viel weniger andre Dinge ab. Also haben wir auch keine Entschuldigung dafür, wenn wir uns von IHM entfernen. Darum auch sind diese früheren Liebhabereien, die ich mir erlaubt habe — Kochen und Kunst —, so schwer verzeihlich. Hier in Rama ist es die Aufgabe der

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