Die Nächste, bitte • Ein Arzt-Roman
gewünschten Erholung. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass sich die meisten Paare schon zu Hause die Köpfe einschlagen. Warum sollte das in einem 20-qm-Appartement an der überfüllten Adriaküste anders sein? Aber nicht mein Problem. Davon verstehe ich eigentlich auch gar nichts. Mein letzter Urlaub gemeinsam mit einer Frau war vor dem Studium. Eine Busreise mit Rainbow-Tours nach Italien. Die Hölle. Und zwar nicht nur wegen der überfüllten Adriaküste, dem 8-qm-Zimmer und dem schlechten Abendbuffet.
«Und Ihr Hotel liegt wirklich im Bahnhofsviertel?», fragt mich Dr. Hartmann und gibt sich erst gar keine Mühe, sein Entsetzen zu verbergen.
Ich möchte mal wissen, was den das angeht. «Meine Frau wollte das so», bediene ich mich der Lieblingsausrede aller verheirateten Männer. «Sie wollte gern mitten im Trubel wohnen.»
Ich kann ihm ja wohl schlecht verklickern, dass Reinhold Schwarz mich mit einem Augenzwinkern ins Amüsierviertel gebucht hat. Dann hält er mich am Ende noch für schwul. Oder für einen Bordellgänger. Aber so nickt er stumm. Seit Nellas Ausraster denken ohnehin alle, meine Frau habe nicht alle Tassen im Schrank. Da passt der Wunsch nach Unterhaltung im Rotlichtviertel wunderbar ins Bild.
Bei dem Gedanken an Nella wird mir irgendwie mulmig zumute. Wer weiß, was sie heute angestellt hat? Der Morgen verlief ja eigentlich ganz nach Plan. Schade nur, dass ich Nellas Gesicht nicht sehen konnte, als ihr grenzdebiler Exverlobter vorschlug, von nun an zu dritt Tisch und – vor allem – Bett zu teilen. Die Arme hat sich ja ganz schön aufgeregt. Leider fiel mir aber keine andere Möglichkeit ein, den Kerl aus dem Rennen zu werfen, als ihm eine SMS von Nellas Handy zu schicken. Schließlich ist eine Versöhnung der beiden das Letzte, was ich gebrauchen kann.
Und als Nella heute Morgen irgendwann kurz im Bad verschwand und ihr Handy unbeaufsichtigt liegenließ
…
tja, da bot sich mir die Möglichkeit quasi auf dem Silbertablett. Die Nachricht, die ich ihrem Leo geschickt habe, schien ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben:
Leo! Ich kann deinen Wunsch, mit einer anderen Frau zu schlafen, gut verstehen. Wäre schön, wenn ich in Zukunft dabei sein könnte – du verstehst schon … Erwarte dich in einer halben Stunde in der Lobby des East-West-Hotels.
PS
: Ein paar Rosen wären auf den Schreck natürlich angebracht. Nella
Ich möchte zu gern wissen, was der Kerl sich beim Lesen gedacht hat. Aber brav angetanzt ist er, genau wie ich es geplant hatte. Und Nellas Hass-Blumen hatte er auch im Arm. Meine Güte, der war so scharf auf einen Dreier, dass er nicht eine Sekunde auf die Idee kam, Teil meines perfekt eingefädelten Plans zu sein.
Hoffentlich vermasselt Nella jetzt nicht wieder alles!
«Das ist aber kein gutes Viertel, in dem Ihr Hotel steht», fängt Dr. Hartmann schon wieder zu sticheln an. «Vor Ihrer Haustür wurde mit Sicherheit auch schon gemordet.»
Oh ja, denke ich, mit Sicherheit. Und wenn nicht, dann werde ich der Erste sein, der dort jemanden stranguliert.
Bereits heute Morgen, als mein Taxi vor Schümlis
Swiss Medical Esthetic Clinic of Beauty and Health
hielt, hätte ich Dr. Hartmann am liebsten mit seiner Krawatte die Luft abgeschnürt. Und dieses Verlangen hat sich im Laufe des Tages noch potenziert.
«
Bonjour
, die Herren, guten Morgen!», begrüßte uns Schümli und sah in seinem weißen, fast bodenlangen Kittel aus, als wäre er über Nacht noch brauner geworden. Und irgendwie auch kleiner. «Treten Sie ein in mein bescheidenes Reiccch. Hahaha!» Er machte eine elegante Handbewegung und führte uns anschließend durch die Räumlichkeiten. Der Wahnsinn! 350 qm erstreckten sich auf drei Etagen, Keller nicht eingerechnet. Der obere Bereich war beinahe ein eigenständiges, kleines Krankenhaus. Zehn geschmackvoll eingerichtete Einzelzimmer, in die man noch zusätzliche Betten stellen konnte, reihten sich in einem langen Flur aneinander. Jedes der Zimmer verfügte über ein eigenes Bad, Fernseher und Internetzugang und sogar einen geräumigen Kühlschrank. Von einer kleinen Sitzecke aus konnte man den Genfer See und die Berge betrachten. Eine Etage tiefer lagen Schümlis Büro sowie die Aufenthaltsräume für Angestellten, außerdem Übernachtungsmöglichkeiten für diensthabende Schwestern oder Ärzte.
Auch hier war alles hell und freundlich gestaltet und auf eine unaufdringliche Art sauber. Es hingen weder Desinfektionsgeruch noch Essensdünste in der
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