Die Nächte der Aphrodite
Elaine. Aber das hat ja noch Zeit.« Er küsste sie auf den Mund. »Wir sehen uns morgen.«
Ein paar Schritte, dann der dumpfe Ton der zuschlagenden Scheunentür und sie war alleine. Seufzend strich sie den Rock nach unten und schloss die Knöpfe ihrer Bluse. Dann ließ sie sich wieder ins Heu sinken. Sie wollte nicht zurückgehen, in ein kaltes, hartes Bett. In ein Haus, in dem man weder auf sie wartete noch sie vermisste. Also kroch sie tiefer ins Heu und schloss die Augen. In dieser Nacht würde sie wunderschöne Träume haben, und mit etwas Glück würden sie wahr werden.
Als Elaine am nächsten Morgen das Elternhaus betrat, traf sie niemanden an. Erst da fiel ihr ein, dass es Sonntag war und sich alle auf dem Weg zur Kirche befanden. Sie entfachte das Feuer im Herd, stellte einen Topf mit Wasser darauf und fing an, die leeren Schüsseln vom Frühstück in einen großen Eimer zu stapeln.
Gerade als sie fertig damit war, die Stube zu fegen, hörte sie, wie das Fuhrwerk vor dem Haus hielt. Einen Augenblick später stürmten ihre beiden Schwestern in den Raum. »Elaine, wir haben einen Brief von Marie bekommen. Der Pfarrer hat ihn uns vorgelesen«, rief Simone, und Véronique schwenkte ein dicht beschriebenes Blatt in der Hand.
Elaine stützte sich auf den Besenstiel. »Tatsächlich? Marie kann schreiben?«, fragte sie zweifelnd.
Die beiden Mädchen nickten eifrig. »Ja. Sie ist nicht mehr in Paris. Sie hat einen Adligen geheiratet und lebt auf einem Schloss in der Provence.«
Ungläubig sah Elaine von Simone zu Véronique. »Marie? Unsere Marie?«
»Ja. Sie heißt jetzt Madame de Rossac. Ihr Mann ist der Chevalier de Rossac. Sie haben Weinberge und Obstplantagen und Pferde. Marie trägt lauter wunderschöne Kleider und hat eine Zofe! Stell dir das nur vor!«
Elaine ließ sich auf einen Stuhl sinken. Vor fast zwei Jahren hatte die Marquise de Solange auf ihrer Reise in Trou-sur-Laynne Halt gemacht und Marie nach Paris mitgenommen. Sie wollte ihr eine Anstellung in einem vornehmen Haushalt besorgen. Seither hatten sie nichts mehr von Marie gehört. Bis zu diesem Moment.
»Marie hat ihr Glück gemacht.« Claire Callière nahm ihre Haube ab und faltete sie sorgfältig zusammen. »Meine Gebete sind erhört worden.«
»Hättest du nur für mich gebetet«, sagte Simone vorwurfsvoll.
Ihre Mutter drehte sich zu ihr um. »Das habe ich. Und vielleicht ist das der Grund, dass du in zwei Wochen Clements Frau wirst und das Kind in deinem Bauch doch noch einen anständigen Namen bekommt.« Die Entgegnung kam so scharf, dass Simone die Augen niederschlug.
»Was schreibt Marie sonst noch?«, fragte Elaine, um der Situation die Spitze zu nehmen.
»Sie will uns besuchen kommen. Im nächsten Sommer.« Véronique hielt ihr den Brief entgegen und Elaine nahm ihn, obwohl sie ebenso wenig lesen konnte wie der Rest ihrer Familie.
Ein leichter Duft haftete dem Papier an, und sie atmete ihn fasziniert ein. Sehnsüchtig betrachtete sie die regelmäßigen Schlaufen und Kringel auf dem elfenbeinfarbenen Blatt. Ein Bote aus einer anderen Welt. Ein Zeichen, dass es tatsächlich etwas anderes gab, als die Felder von Trou-sur-Laynne und die Enge dieser Hütte.
Und mit Armand würde sie die Gelegenheit bekommen, das alles mit eigenen Augen zu sehen. Sie fühlte sich plötzlich leicht und unbeschwert.
Die Tür fiel ins Schloss. Ihr Vater ließ sich auf die Bank fallen und streckte missmutig die Beine aus. Offensichtlich war er von Maries Aufstieg weit weniger beeindruckt.
»Die Tagelöhner, die bei Luc Serrant untergebracht sind, haben sich allesamt aus dem Staub gemacht. Gestern, nachdem er sie bezahlt hatte. Dabei ist die Ernte noch lange nicht eingebracht. Luc ist so wütend, dass er sich beinahe darangemacht hätte, das Pack zu verfolgen.« Er ließ seine Blicke über die Mädchen wandern. »Das heißt, ihr müsst euch noch mehr anstrengen. Antoine versucht gerade, in Moulard und Dabras Arbeiter zu finden.«
Langsam sickerten die Worte in Elaines Verstand, und sie begriff deren Inhalt. »Die Männer von Luc Serrant sind ... weg?« Ihre Stimme klang unnatürlich hoch.
Ihr Vater sah sie an und runzelte die Stirn. »Das habe ich doch gerade gesagt.«
»Alle?« Das Wort hing in der Luft. Die Augen der gesamten Familie waren auf sie gerichtet. Sie spürte eine unausgesprochene Welle von Erstaunen, Verachtung und Mitleid über sich zusammenschlagen. Der einzige Gedanke, der sie beherrschte, war Flucht. Sie stürzte zur Tür und
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