Die Nächte der Aphrodite
versuchte er, sich zu sammeln und seinen rasenden Herzschlag zu ignorieren. Seine Finger falteten den Brief zusammen, ehe er ihn ihr wieder reichte.
»Das hier ist doch La Mimosa?«, fragte sie zögernd, da er noch immer schwieg. »In Lassieux sagte man mir, ich müsste nur die Straße entlanggehen.«
Er nickte, dann räusperte er sich. »Ja, das hier ist La Mimosa. Aber Marie ist nicht da.«
Sie ließ den Brief wieder in ihrem Rock verschwinden. »Darf ich auf sie warten?«
»Nein. Ich meine ... Marie kommt nicht ... so bald ... wieder. Sie hat das Land verlassen, gemeinsam mit ihrem Ehemann.« Seine Gedanken liefen noch immer ziellos durcheinander, und er unterdrückte einen Fluch.
Ihre Schultern sackten bei seinen Worten nach vorne. »Sie ist gar nicht mehr da?« Das Zittern in ihrer Stimme verriet, wie sehr sie diese Nachricht traf.
»Es tut mir leid.« Noch nie war er sich so linkisch vorgekommen. Gewaltsam riss er sich zusammen und besann sich auf die elementarsten Umgangsformen. »Möchtet Ihr Euch nicht setzen? Ich richte mir gerade mein Abendmahl, vielleicht wollt Ihr mir Gesellschaft leisten? Es ist nicht viel, aber ...«
Der Blick des blassgrünen Auges richtete sich auf ihn, als sähe sie ihn zum ersten Mal. »Ihr seid ...?«
»Troy de Rossac, der Bruder von Maries Ehemann Tris«, beeilte er sich zu sagen.
»Mein Name ist Elaine. Elaine Callière.« Sie versteckte ihre Hände in den Falten des braunen Rocks. Das Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, bis es jede Ecke des Raumes erreichte.
Troy räusperte sich. »Kommt, Ihr seid bestimmt hungrig. Ein Stück Brot, eine Scheibe Schinken und ein schöner Wein - dabei können wir uns über alles unterhalten.«
Sie sah ihn mit einem zweifelnden Blick an, dann strafften sich ihre Schultern, und sie nickte. »Etwas anderes bleibt mir kaum übrig, Monsieur de Rossac. Deshalb danke ich Euch für Euer Angebot und nehme es gerne an.«
Sie bückte sich und hob ein Bündel auf, das Troy bisher übersehen hatte. Mit einer unbewussten Geste presste sie es an die Brust, als enthielte es einen Schatz. Dann hob sie den Kopf. »Ich bin bereit, Monsieur de Rossac.«
3
Elaine klammerte sich an ihre Habseligkeiten und versuchte zu verarbeiten, was ihr der Mann - seinen Worten nach ihr Schwager - gesagt hatte. Wenn Marie tatsächlich nicht mehr hier war, dann wusste sie nicht, was sie weiter tun sollte. Keinen Atemzug lang hatte sie damit gerechnet, Marie nicht anzutreffen.
Mit schleppenden Schritten folgte sie ihrem Schwager. Er trug eine abgewetzte Hose aus braunem Leder und ein weit geschnittenes weißes Hemd ohne Spitzenbesatz oder sonstigem Zierrat, das weder seine Größe noch seine breiten Schultern verbergen konnte. Die Ärmel waren bis über die Ellbogen hochgerollt. Er mochte in ihrem Alter sein oder etwas älter, vielleicht sechs- oder siebenundzwanzig Jahre. Sein dichtes schwarzes Haar war im Nacken locker zusammengebunden.
Er führte sie in einen Raum, der von einem wuchtigen Tisch beherrscht wurde, auf dem sich Papiere und Kladden stapelten. Mit einer schnellen Handbewegung schob er die Sachen zusammen, sodass eine Ecke frei wurde und stellte die Weinflaschen ab. Auf der Anrichte stand ein Brett mit Brot, Schinken und Butter.
Elaine sank auf einen Stuhl. Nach Maries Brief hatte sie sich vorgestellt, dass ihre Schwester in Saus und Braus lebte. In einem Schloss. Aber das Haus und die Einrichtung konnten bestenfalls als zweckmäßig bezeichnet werden, kein unnötiger Luxus war erkennbar. Auch von Dienstboten gab es keine Spur.
Sie beobachtete den Mann, wie er Brot und Schinken schnitt. Seine großen Hände trugen deutliche Spuren körperlicher Arbeit. Die Fingernägel waren rissig, und auf den Handrücken zeigten sich zahlreiche Kratzer. Kein großer Unterschied zu ihren eigenen Händen.
Er schob einen gefüllten Teller zu ihr. »Bedient Euch, Mademoiselle Callière.«
Zögernd griff sie nach dem Brotstück. Noch nie hatte jemand sie Mademoiselle genannt oder sie mit Respekt angesprochen, als wäre sie eine Dame von Stand.
»Danke, Monsieur de Rossac«, murmelte sie und sah zu, wie er den Korkenzieher in die Flasche schraubte. Sein gebräunter Unterarm spannte sich an, als er mühelos den Korken herauszog und den rubinroten Wein in zwei Gläser goss. Dann setzte er sich ihr gegenüber. Wieder breitete sich Stille aus, aber dieses Mal war sie sich seiner körperlichen Präsenz überdeutlich bewusst. Etwas, das ihr seltsam und ungewohnt
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