Die Nächte der Aphrodite
Festen wieder, bewahrt man Stillschweigen darüber. Der Kreis der Jünger der Aphrodite ist mittlerweile groß, aber diskret. Im eigenen Interesse.« Béatrice goss Elaine und sich selbst Kaffee nach. »Die ursprüngliche Idee der Zeremonienmeisterin resultierte daraus, dass Henri Rivalitäten und Streitereien verhindern wollte. Er war der Ansicht, dass eine Frau in diesem Arrangement eher respektiert würde als ein Mann. Und damit behielt er recht. In all den Jahren hat sich niemand meinen Anweisungen widersetzt, es gab kaum Querelen und keine Beschwerden.«
Elaine lauschte gespannt. Langsam klärte sich das verschwommene Bild von Béatrices Aufgaben, und was sie da sah, gefiel ihr immer besser.
Béatrice blickte ihr in die Augen. »Um diese Distanz zu erhalten und gleichzeitig mit Respekt behandelt zu werden, ist es nötig, dass Ihr selbst Euch an dem bunten Treiben nicht beteiligt. Ich hoffe, das ist Euch klar. Ihr seid nicht ihresgleichen, Ihr befindet Euch in Eurer eigenen Schicht, Ihr seid unberührbar.«
Elaine nickte eifrig. »Natürlich ist mir das klar.«
Béatrice hob die Brauen. »jetzt ist es Euch klar, aber seid Ihr sicher, dass Ihr Nacht für Nacht dabei zusehen könnt, wie andere ihre Bedürfnisse befriedigen, während Ihr nichts weiter tut als zusehen?«
»Ich glaube schon.« Elaines Stimme verriet ihre Unsicherheit.
»Ihr seid jung, dem verführerischen Blick eines attraktiven Mannes zu widerstehen, kann sehr anstrengend sein«, hakte Béatrice nach.
»Ich nehme an, dass es einfacher wird, je länger ich es tue. Euch ist es ja auch gelungen, die Distanz zu wahren und keinen Versuchungen nachzugeben.«
Béatrices Lippen kräuselten sich. »Für mich waren es keine Versuchungen, deshalb bereitete es mir keine Schwierigkeiten. Ich bevorzuge eine andere Spielart der Liebe, eine, die Henri auf Belletoile nicht unterstützt.«
Elaine versuchte sich darauf einen Reim zu machen, scheiterte aber kläglich. Deshalb konzentrierte sie sich auf das Wesentliche. »Nein, davor habe ich keine Angst, aber ...« Sie brach ab und nahm einen neuen Anlauf. »Die Kleidung, die Ihr als Zeremonienmeisterin tragt, bedeckt Euren Körper zur Gänze. Das Einzige, was sichtbar ist, ist das Gesicht. Und mein Gesicht ist entstellt. Ich habe Angst, dass es Gäste gibt, die sich daran stören könnten. Schließlich ist alles andere hier absolut perfekt.« Sie brach erneut ab, da sie fürchtete, schon zu viel gesagt zu haben.
Ihren Worten folgte Schweigen, das sich immer länger ausdehnte, denn Béatrice studierte ihr Gesicht mit minutiöser Sorgfalt. Als sie schließlich zu sprechen anfing, traute Elaine ihren Ohren nicht. »Ihr seid nicht entstellt. Wer immer Euch davon zu überzeugen versuchte, war wohl sehr erfolgreich, aber es ist nicht die Wahrheit.« Sie hob die Hand, um Elaines Widerspruch zu ersticken. »Eure rechte Gesichtshälfte sieht aus, als liege ein feines Spinnennetz darüber. Diese zarten weißen Linien machen Euch interessant, man will Euch ansehen, weil es so außergewöhnlich wirkt. Es gibt keinen Grund, es zu verstecken. Wie ist es passiert?«, erkundigte sie sich sachlich.
»Ich habe mich als Kind mit kochendem Wasser verbrüht, und jeder der mich danach sah, rannte schreiend davon«, sagte Elaine bitter.
Béatrice griff nach ihrer Hand und drückte sie. »Vielleicht hat es einmal furchtbar und abstoßend ausgesehen, aber heute tut es das nicht mehr. Vielleicht sehen alle, die Euch bereits als Kind kannten, immer nur die Narben, wie sie ursprünglich waren. Aber ich habe Euch gerade erst kennen gelernt, und mich fasziniert Euer Gesicht, es stößt mich ganz bestimmt nicht ab. Und ich wette, allen anderen geht es ebenso.«
Elaine überdachte diese Worte, und je länger sie das tat, desto plausibler erschienen sie ihr. Seit sie Trou-sur-Laynne verlassen hatte, war niemand starr vor Entsetzen vor ihr zurückgewichen. Man hatte sie nach der Ursache der Narben gefragt, aber dahinter hatte Neugier gesteckt, manchmal auch wirkliches Interesse. Niemand hatte es ein zweites Mal erwähnt. Es war ihre eigene Erwartungshaltung gewesen, die eine andere Interpretation lieferte.
Ohne ein Wort sprang Elaine auf und lief zu einem Spiegel, der an der Wand hing. Sonst hatte sie es immer vermieden, ihr Gesicht direkt zu betrachten. Jetzt tat sie es. Sie fixierte jede der dünnen weißen Linien, die über ihre Haut liefen. Es sah seltsam aus, aber es machte sie nicht zu einem monströsen, hässlichen Ungeheuer. Diese
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