Die Nächte der Aphrodite
Erkenntnis war so unfassbar, dass sie zu zittern begann.
Béatrice trat hinter sie. »Ihr müsst viel gelitten haben unter der Reaktion der Menschen, als Ihr ein Kind wart. Das hat verhindert, dass Ihr Euch so seht, wie Ihr wirklich seid.«
»Ja, Ihr habt recht. Aber ... aber ich kann es einfach nicht glauben.« Ihre Fingerspitzen strichen über ihre vernarbte Haut. Auch das hatte sie schon lange nicht mehr getan, weil sie alles, was mit ihrem Gesicht zusammenhing, am liebsten vergessen würde.
»Euer Gesicht ist kein Hindernis dafür, die Zeremonienmeisterin der aphrodisischen Nächte zu werden. Im Gegenteil. Es macht Euch zu etwas Besonderem. Es unterstreicht Eure Stellung.«
Elaine drehte sich um. »Danke, Ihr habt mir das schönste Geschenk gemacht, das ich jemals bekommen habe.«
»Das dürfte nicht schwer gewesen sein, denn ich vermute, Ihr habt noch nicht viele Geschenke bekommen«, erwiderte Béatrice trocken. »Kommt, setzen wir uns wieder.«
Elaine folgte ihr, aber ihre Gedanken kreisten noch immer um die gerade gemachte Erfahrung. Deshalb hörte sie nicht zu, als Béatrice weitersprach. Erst die Worte »... gehe ich mit Hector Ende der Woche nach Burgund« drangen zu ihr durch.
»Ende der Woche? So bald schon? Ich dachte, Ihr würdet mich anleiten«, fügte sie unsicher hinzu.
»Ich übergebe Euch alle meine Aufzeichnungen, also das Büchlein sowie das Verzeichnis meiner bereits veranstalteten Tableaus und deren Teilnehmer. Ich werde noch zwei aphrodisische Nächte leiten, dabei könnt Ihr mir natürlich zusehen, aber dann verlasse ich Belletoile.« Sie lächelte, und ihr Gesicht bekam einen weichen Ausdruck.
Elaine betrachtete sie nachdenklich. Schließlich sprach sie ihre Gedanken laut aus. »Habt Ihr den Marquis de Sevelles hier kennen gelernt?«
»Ja.« Béatrice nickte. »Er kam vor mehr als einem Jahr zum ersten Mal nach Belletoile. Und wollte es bereits nach einigen Tagen verlassen, weil die gebotenen Spiele nicht nach seinem Geschmack waren. Als er mit mir darüber sprach, stellten wir fest, dass wir in vielen Dingen dieselben Ansichten teilten.« Wieder glitt ein verträumter Ausdruck über ihre Züge. »Er blieb dann doch länger, und wir stellten noch mehr Gemeinsamkeiten fest.«
Elaine runzelte die Stirn. »Aber Ihr sagtet, dass die Zeremonienmeisterin mit niemandem eine Affäre anfangen darf, um ihre Stellung nicht zu gefährden.«
»Es wusste niemand etwas davon. Wir trafen uns heimlich, und Hector nahm an den aphrodisischen Nächten nicht einmal mehr als Zuschauer teil. Er verließ Belletoile mehrere Male, kam aber immer zurück. Meinetwegen. Er konnte mich genauso wenig vergessen wie ich ihn. Aber erst als klar war, dass ich ihn auf seine Güter nach Auxerre begleite, habe ich mit Henri gesprochen.« Sie beschäftigte sich damit, die Falten ihres Rocks zu ordnen. »Es hat ihn nicht überrascht. Er wusste von meinen Vorlieben und hat wohl damit gerechnet, dass ich ihn verlassen würde, wenn ich einen Partner finde, der meine Bedürfnisse erfüllt.«
Elaine fasste sich ein Herz. Sie wollte wissen, was sich hinter den Andeutungen verbarg. »Welcher Art sind denn Eure Bedürfnisse?«, fragte sie leise.
Statt einer Antwort drehte Béatrice ihr den Rücken zu. »Öffnet die Knöpfe, und Ihr werdet sehen, welcher Art meine Bedürfnisse sind.«
Mit klopfendem Herzen löste Elaine die kleinen Knöpfe, bis das Kleid ein Stück milchweiße Haut entblößte. Milchweiße Haut, über die sich dünne rote Striemen zogen. Elaine hielt mitten in der Bewegung inne und sog scharf die Luft ein. Béatrices Stimme löste den Bann. »Ich kann Lust nur dann empfinden, wenn sie sich mit Schmerzen paart. Und niemand hat es bisher verstanden, mir so exquisite Lust zu bereiten wie Hector. Er ist ein Meister, er kennt so viele verschiedene Möglichkeiten, meinen Körper unter Schmerz und Lust erzittern zu lassen, dass ich unersättlich werde. Ich liebe ihn, ich gehöre ihm mit jeder Faser.«
Die Inbrunst, mit der sie sprach, ließ Elaine erschauern. Vorsichtig strich sie mit den Fingerspitzen über die Male. Es erschien ihr unfassbar, sich freiwillig auspeitschen zu lassen. Ohne etwas zu erwidern, schloss sie die Knöpfe wieder, und Béatrice drehte sich um. In ihren Augen stand ein seltsamer Glanz. »Darum lässt mich die Nacht der Aphrodite auch kalt. Darum ist mein Körper von Kopf bis Fuß bedeckt, denn die Spuren meiner Liebe würden viele Gäste ganz bestimmt verstören.«
Elaine kämpfte um
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