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Die Nächte der Aphrodite

Die Nächte der Aphrodite

Titel: Die Nächte der Aphrodite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daria Charon
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atmen. Als Ihr von Versailles zurückkehrtet, habe ich angefangen, Euch zu beobachten. Wenn Ihr die Pächter aufgesucht habt oder mit einer Jagdgesellschaft durch die Wälder geritten seid. Ich spann Pläne, mich als Küchenjunge oder Stallknecht zu verdingen, aber die Wahrscheinlichkeit, Euch dadurch nahe zu kommen, erschien mir viel zu gering. Ich musste es anders machen. Ich musste es schaffen, in Eure Gesellschaftsschicht vorzudringen. Der Weg würde mühsam und hart werden, das war mir bewusst. Aber ich fand eine Möglichkeit, Lesen und Schreiben zu lernen, ich ging als Lohnarbeiter zu den Silberminen, zur Weinlese, ich verdingte mich als Schreiber, und ich sparte jede Münze. Außerdem beobachtete ich alle vornehmen Herrschaften, die ich traf, um zu sehen, wie sie redeten, wie sie sich bewegten, wie sie gekleidet waren. Der Plan wuchs langsam, aber irgendwann wusste ich, was ich tun wollte: Ich ließ mir von meinem Ersparten feine Kleider nähen, und nachdem ich Eure Kutsche ausfahren sah, wartete ich, bis sie zurückkehrte, und legte mich auf den Weg, der nach Belletoile führte. Ich fand den Plan schlicht und überzeugend. Wenn ich Fehler im Umgang mit Angehörigen der vornehmen Welt machte, konnte ich sie auf mein fehlendes Gedächtnis schieben. Ich würde mit Euch am Tisch sitzen, mit Euch ausreiten, Euch täglich sehen. Wie die Geschichte weiterging, wisst Ihr. Ich hatte niemals Geld oder Besitz oder Empfehlungen im Sinn. Das Einzige, was ich im Sinn hatte, wart Ihr. Aber ich bekam Euch nie zu fassen, Ihr seid mir immer ausgewichen. Jetzt verstehe ich auch den Grund. Mit seinem Mörder will wohl niemand enge Bande knüpfen.«
    Henris Mund war trocken. Mit allem hatte er gerechnet, aber damit nicht. Grundgütiger. Er versuchte sich an den schlaksigen Jungen zu erinnern, der für seinen kleinen Bruder gesorgt und ihn immer mit großen, ängstlichen Augen angesehen hatte, während seine Mutter jammerte und mit dem Schicksal haderte. Es gelang ihm nicht, das Bild blieb flüchtig, mehr Einbildung als Reflexion einer tatsächlichen Begegnung.
    »Was den herabstürzenden Leuchter betrifft, ich habe erst am nächsten Morgen davon erfahren. Ich verließ das Theater, da ich es nicht ertrug, zu sehen, wie Ihr zuerst Euren Liebhaber Jérôme beobachtet habt und d'Aubigny Euch dann eindeutig Avancen machte, während Ihr mich ignoriert habt. Und die Pferde ... ich mag sie, darum war ich oft in den Stallungen. Ich konnte nicht reiten, als ich nach Belletoile kam. Erst nach Eurer Erlaubnis habe ich mich an einen der Stallknechte gewandt, obwohl es mir natürlich lieber gewesen wäre, Ihr wärt mein Lehrmeister geworden.« Er ließ den Sessel los, vergrub die Hände in den Taschen seiner Brokatjacke und trat zum Bett.
    Henri sah ihn mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube an. Die Erleichterung, die er empfunden hatte, als sich herausstellte, dass Vincent nichts mit den Anschlägen zu tun hatte, beruhte natürlich auch auf der Tatsache, dass er sich mit dem Gedanken anfreundete, ihn vielleicht doch zu seinem Geliebten zu machen und die Gewissensbisse wegen seiner Jugend einfach beiseite zu schieben. Das Verlangen, das er nach ihm empfand, war zu groß, um es einfach zu ignorieren.
    Aber das, was er gerade erfahren hatte, änderte alles. Von Vincents Seite aus waren Gefühle im Spiel, tiefe und aufrichtige, über Jahre hinweg aufgestaute Gefühle. Er sprach nicht von flüchtigem Begehren, von schnell erlangter Befriedigung durch raffinierte amouröse Spiele, er sprach von Liebe, von Vertrauen, von Romantik, von einer gemeinsamen Zukunft außerhalb des Schlafzimmers. Etwas, das Henri größere Angst machte als ein herabstürzender Leuchter oder ein durchgeschnittener Sattelgurt. Er versuchte seine Ablehnung in sanfte, verständnisvolle Worte zu verpacken, um Vincent nicht mehr zu verletzen als unbedingt nötig. »Vincent, deine Gefühle ehren mich wirklich ...«
    Weiter kam er nicht, denn Vincent beugte sich über ihn und presste den Mund auf seine geöffneten Lippen. Eine wenig glückliche Erfahrung in seiner Jugend hatte Henri früh davon kuriert, Küsse auszutauschen. Noch dazu waren Küsse bei sexuellen Begegnungen, wie er sie bevorzugte, völlig unnötig.
    Im ersten Moment wollte er Vincent von sich stoßen, doch dessen Hand schob sich in seinen Nacken und hielt ihn fest. Seine Zunge strich an der von Henri entlang, flatterte um die Spitze und zog sich zurück, nur um gleich wieder zuzustoßen. Ungezügelte

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