Die Nanokriege - Die Sturmflut
erlaubt hat, überhaupt diese Verhandlung zu führen. Besucher sind im Harem äußerst selten. «
»Das muss doch langweilig sein«, sagte der Mann und runzelte die Stirn.
»Dafür ist er sicher, und für uns ist gut gesorgt«, erwiderte Megan und machte ihrem Gesprächspartner damit klar, dass sie dieses Thema nicht vertiefen wollte. »Können wir bis Ende der Woche mit der Lieferung rechnen?«
»Ja, Ma’am«, nickte der Verkäufer und legte noch ein paar Proben auf den Tisch. »Die hier sind natürlich gratis.« Während er das sagte, zog er ein Stück Papier unter einem der Muster hervor. Darauf stand »Travante«.
»Danke«, sagte Megan und starrte das Papier an wie eine Maus die Schlange. »Was ist das?«
»Das ist eine neue Kosmetiklinie, an der wir arbeiten«, sagte der Mann und drehte das Papier um, damit sie die Warenliste sehen konnte. »Eine wesentlich aufwändigere Linie, die gründlich geprüft worden ist. Einige der Farben sind ganz einmalig. Wir haben beispielsweise einen wunderschönen azurfarbenen Lidschatten.«
Megans Vater war vor dem Zusammenbruch auf den Azor-Inseln im Einsatz gewesen. Aber das konnte natürlich auch eine Falle sein.
»Ich habe Azurblau immer gemocht«, erwiderte Megan mit betont interessierter Miene.
»Ja«, sagte der Mann und lächelte, während er seinen Musterkoffer wieder einpackte. »Das geht vielen so; es ist wie die Farbe eines hellen, neuen Tags.«
Ein heller, neuer Tag, Megan. Megan erinnerte sich, wie ihr
Vater ihr den Kopf tätschelte, so wie er das jeden Morgen tat, wenn er zu Hause war. Zeit zum Aufwachen . Entweder hatte Paul ihren Vater in seiner Gewalt und stellte sie auf die Probe … nein, das machte keinen Sinn. Wenn Paul wusste, dass sie Joel Travantes Tochter war, würde er handeln, nicht sie auf die Probe stellen. Und es gab keinen Anlass für Paul, diesen Satz zu kennen, selbst wenn man ihren Vater gefangen genommen hatte. Das musste ein echter Kontakt sein.
»Schön, sprechen wir nächste Woche darüber«, erwiderte Megan und reichte ihm das Papier so, dass der Name nicht sichtbar war. »Wirst du hier sein?«
»Ja, Ma’am«, sagte der Mann, und seine Stirn furchte sich dabei.
Wie antworten, ohne sich nicht zu verraten?
»Dir ist doch klar, dass ich deine Stoffe einer forensischen Analyse unterziehen muss?«, fragte Megan.
»Selbstverständlich«, erwiderte der Händler. »Ich hätte nichts anderes erwartet.«
»Paul ist uns gegenüber sehr väterlich«, fuhr Megan fort. »Aber wenn einem der Mädchen etwas passieren würde, würde ich zumindest erwarten, dass es eine gründliche Untersuchung gibt. Und das hätte höchst unangenehme Auswirkungen.«
»Ich verstehe«, sagte der Mann nach einer bedeutungsvollen Pause. »Ich freue mich auf unser nächstes Zusammentreffen. «
»Ich möchte noch etwas hinzufügen«, sagte Megan und musterte ihn streng. »Du wirst darüber mit niemandem sprechen. Das ist sehr wichtig. Habe ich mich da klar genug ausgedrückt?«
»Ich diskutiere die Geschäfte meiner Kunden nicht mit Dritten, Miss Sung«, erwiderte der Händler.
»Nicht mit deinen Partnern und auch nicht mit sonstigen
Leuten«, schärfte Megan ihm ein. »Paul wird davon hören, und das wollen wir doch nicht, oder?«
»Madame, ich versichere dir …«
»Und ich versichere dir «, fiel Megan ihm ins Wort. »Deine neue Linie wird nirgends ankommen, wenn du dich darüber äußerst, dass du in Kontakt mit Pauls … Freunden bist. Er wird davon hören. Und seine Reaktion wird nicht angenehm sein.«
»Ja, Ma’am«, sagte der Mann und schluckte. »Ich verstehe. Vollkommen.«
»Ich werde über diesen Schminkkurs nachdenken, den du vorgeschlagen hast«, fuhr Megan fort. »Den Mädchen würde das gefallen, so viel steht fest. Bis nächste Woche dann«, sagte sie und stand auf.
»Bis nächste Woche.«
Martin St. John war ein glücklicher Mann. Vor dem Zusammenbruch war er ein Dieb gewesen, ein Betrüger und Mörder – in einer Umgebung, wo das eine wie das andere, gelinde gesagt, problematisch war. Nach dem Zusammenbruch hatte er einfach seine Technik geändert und festgestellt, dass die Methoden und Denkprozesse im Grunde die gleichen geblieben waren, wenn sie auch vielleicht etwas ungestümer geworden sein mochten.
Das hatte so lange gegolten, bis Bruder Conner auf ihn gestoßen war. Er und Conner hatten vor dem Zusammenbruch derselben Gesellschaft professioneller Tunichtgute angehört. Irgendwie hatte der Mistkerl es geschafft, ihn
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