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Die Narbe

Die Narbe

Titel: Die Narbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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Tod gesprungen. Hier ist jemand, so merkwürdig es uns erscheinen mag, nach der Wunschoperation ins Leben zurückgekehrt. Aber bei dir, mein lieber Batzko, du Quadratschädel, muss eine Leiche ein Messer im Rücken haben oder es muss ein Zettel am Tatort liegen: Dies war ein Mord. Aber so einfach liegen die Dinge nicht immer und ganz sicher nicht in diesem Fall.
    Dann legte er die Mappe zurück auf den Schreibtisch und überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Das Telefon riss ihn aus seinen Gedanken.
    »Gerald? Du musst sagen, wenn ich dich gerade störe.« Wie immer ließ seine Mutter ihm nicht einmal die Zeit zum Atmen, bevor sie fortfuhr. »Ich war heute Vormittag in der Gegend, und da habe ich spontan bei euch geklingelt. Ich weiß, dass man sich besser vorher ankündigen sollte, aber am späten Vormittag, dachte ich mir, kann man nun wirklich kein Kind aus dem Schlaf reißen.«
    »Mutter, es passt gerade nicht so gut. Ich sitze in meinem Büro und habe einen Haufen Arbeit vor mir liegen«, sagte Gerald müde. Er spürte schon einen ersten Anflug von Kopfschmerzen. Jetzt und hier wollte er sich nicht auch noch mit seiner Familiensituation befassen müssen.
    »Ich bin so froh«, fuhr sie in ungedrosseltem Tempo fort, »dass Severin diese scheußliche Ohrengeschichte überwunden hat, und obwohl dir meine Meinung in diesen Dingen wenig oder auch nichts bedeutet, sage ich dir, dass jede überstandene Krankheit die Kinder in ihrer Entwicklung weiterbringt. Severin sieht prächtig aus, er hat einen richtigen Schub gemacht. Das hat die Natur so vorgesehen, das ist ihr Lohn.«
    Sie hielt inne, und Gerald spürte, dass sie einen Anlauf nahm, um zu sagen, was sie eigentlich loswerden wollte.
    »Gerald? Darf ich offen zu dir sein?«
    »Ich werde es nicht verhindern können.«
    Sie räusperte sich, und ihre Stimme klang mit einem Mal verunsichert. »Ich kann nicht sagen, dass ich mich bei deiner Partnerin wohlfühle. Ich gebe mir alle erdenkliche Mühe, hilfsbereit zu sein. Aber wenn ich Sevi auf den Arm nehme, werde ich ermahnt, eine Hand unter den Kopf zu legen, weil seine Nackenmuskulatur noch nicht ausgeprägt genug ist. Wenn er auf meinem Schoß sitzt, muss ich ihn an beiden Händen festhalten, damit er ja nicht nach hinten kippt. Wenn ich ihn wickeln will, darf ich das Eincremen nicht vergessen; aber ja nicht zu viel. Gerald, ich kann die Überempfindlichkeit deiner Lebensgefährtin gut verstehen, aber es ist ja nicht so, dass der Klapperstorch dich am Tag der Einschulung bei mir abgegeben hätte.«
    Gerald spürte wie immer den Nadelstich, wenn seine Mutter von »deiner Lebensgefährtin« oder »deiner Partnerin« sprach, anstatt einfach »Nele« zu sagen. Er empfand diesen Ausdruck als bewusst distanzierend, so wie sie Gerald gegenüber nur von »deinem Vater« sprach, wenn sie ihren Ehemann meinte, der vor über zwanzig Jahren eines Nachts die Wohnung verlassen hatte, um niemals zurückzukehren. Sein einziges Lebenszeichen waren die Unterhaltszahlungen bis zu seiner Volljährigkeit gewesen. Weder er noch seine Mutter wussten seitdem, wo und wie und ob er überhaupt noch lebte. Es hatte sich deshalb eine besondere Nähe zwischen ihm und seiner Mutter entwickelt, und vor Nele hatte er ihr nur zwei Freundinnen offiziell vorgestellt. Seine Mutter hatte diese Freundinnen akzeptiert, aber bereits die erste Begegnung mit Nele vor gut einem Jahr hatte ein anderes Vorzeichen getragen, als hätte seine Mutter instinktiv erkannt, dass es diese Frau sein würde, mit der Gerald den Rest seines Lebens verbringen wollte. Und mit der er eine Familie gründen würde. Die ihr das niederdrückende Gefühl vermitteln würde, nicht mehr unersetzbar zu sein, in einem Wort: sterblich.
    »Gerald, bist du noch dran? Hörst du mir überhaupt zu?«
    »Natürlich, Mutter.« Er hatte im Stillen schon seit längerem auf einen Ausbruch dieser Art gewartet. Neles Argwohn seiner Mutter gegenüber war auch ihm aufgefallen. Wenn Geralds Mutter ihren Enkel anzog, korrigierte Nele anschließend immer den Sitz des Stramplers. Wenn sie mit ihm spielte, mahnte Nele, keine zu heftigen Bewegungen zu machen. Wenn sie ihn auf die Wange küsste, erwähnte Nele wie beiläufig die Empfindlichkeit der Babyhaut.
    »Es ist ja nicht so, Mutter, dass Nele deine Hilfe ablehnen würde. Sie hat nur Angst, dass etwas passieren könnte. Ihre Übervorsicht ist nicht nur auf dich bezogen. Sie bezieht sich auf alle, die sich Severin auf mehr als drei Meter nähern, den

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