Die Narbe
und sein Durchsetzungsvermögen stärken sollte. Wie ich Ihnen schon sagte, Arno war sehr introvertiert und schüchtern. Und er war wie viele hochintelligente Menschen idealistisch und gutgläubig. Das ist natürlich für einen Software-Entwickler nicht hinderlich, aber wenn man eine Firma auf die Beine stellen möchte, mit Finanzgebern verhandeln muss, Mitarbeiter einstellt etc. … Sie verstehen schon.«
»Wer war sein Therapeut? Kannten Sie ihn?«
»Ja. Wir hatten vor dieser Gruppentherapie beide bei ihm mehrere Stunden genommen, als Paar.«
»Interessant«, meinte Gerald.
»Jetzt denken Sie sicher«, fuhr Katja Reuther fort, »wir hätten Trennungsabsichten gehabt oder da wäre noch eine dritte Person im Spiel gewesen. Das denken die Leute doch sofort, wenn man das Wort Paartherapie auch nur ausspricht. Diese blödsinnigen Klischees. Wissen Sie, Arno war ein feinsinniger, zärtlicher Mann, aber gleichzeitig sehr verschlossen. Ich liebte ihn, hatte aber nie das Gefühl, ihn ganz zu verstehen. Es schien mir manchmal so, als ob da etwas Tiefes, Dunkles in ihm existierte, das er vor mir zurückhielt, verstehen Sie? Vielleicht hielt er es ja auch vor sich selbst zurück. Ich weiß es nicht. Es ist mir nie gelungen, das herauszufinden. Die Stunden mit dem Therapeuten sollten ihm helfen, sich zu öffnen, mehr Vertrauen zu unserer Beziehung zu fassen. Die Gesprächstherapie war mehr oder weniger eine Folge unserer Paartherapie, weil Arno dem Therapeuten vertraute.«
»Sie haben uns seinen Namen noch nicht genannt.«
»Verzeihung. Chateaux. Dr. Dirk Chateaux. Seine Praxis ist in Bogenhausen, in der Ebersbergerstraße.«
»Wie ›Schloss‹ im Französischen in der Pluralform?«, fragte Batzko, der Angeber. Sie nickte, leicht überrascht.
Gerald notierte pro forma den Namen.
»Hat die Gruppentherapie Ihren Mann verändert?«
Ihre Schultern zitterten leicht. Es war spürbar, dass sie die Grenzen ihrer Belastbarkeit erreicht hatte. »Arno …«, begann sie. Aber es wirkte, als ob ihre Lippen ihr nicht gehorchen wollten. Sie schüttelte nur stumm den Kopf.
»Sind Sie berufstätig, Frau Reuther?«, fragte Batzko.
»Ich bin Übersetzerin. Ich habe mir bewusst einen Beruf ausgesucht, den man zuhause ausübt. Genauso wie Arno brauche ich nicht viele Menschen um mich herum. Außerdem wollten wir Kinder …«
»Sie wollten – das heißt, Sie haben noch keine?«
Katja Reuther schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Augenblicke später rollten Tränen über ihre Wangen; gleichzeitig schien sie zu erstarren, die Hand, die das Taschentuch hielt, lag regungslos auf der Couch. Die Frau hatte augenscheinlich nicht einmal die Kraft, ihre Tränen zu trocknen.
Gerald und Batzko verständigten sich mit einem kurzen Blick.
»Ich denke, die wesentlichen Fragen sind zunächst beantwortet«, sagte Gerald. »Können wir Ihnen helfen? Es gibt eine psychologische Betreuung bei der Polizei, ein Anruf genügt …«
Sie schüttelte bestimmt den Kopf. »Ich habe alles, was ich brauche. Danke. Ich will nur Ruhe. Das ist alles.«
Die beiden Kommissare erhoben sich. »Frau Reuther, haben Sie zufällig die Adresse von diesem Herrn Steinhaus?«
»Ich müsste erst in den Unterlagen in Arnos Arbeitszimmer nachsehen. Aber seine Firma ist in Düsseldorf. Ich erinnere mich, dass sie unter seinem Namen eingetragen ist. Irgendetwas mit ›Steinhaus-Investments‹ oder so ähnlich. Reicht Ihnen das?«
»Wir werden unser Glück versuchen. Bitte bemühen Sie sich nicht. Wir finden alleine hinaus«, sagte Batzko.
An der Wohnzimmertür drehte er sich noch einmal um. »Ich habe meine Karte auf dem Tisch gelassen, Frau Reuther. Rufen Sie uns an, wenn Ihnen noch etwas einfällt, was unseren Ermittlungen nützlich sein könnte. Und halten Sie sich bitte zu unserer Verfügung.« Er räusperte sich, öffnete die Tür und sagte noch: »Was haben Sie eigentlich heute Morgen gemacht, Frau Reuther?«
»Ich habe Arno zur Arbeit gefahren. Das mache ich nur selten, aber heute Morgen musste ich Verschiedenes in der Stadt besorgen und wollte auch zum Viktualienmarkt. Wir haben nur ein Auto, müssen Sie wissen. Das meiste erledige ich mit dem Fahrrad, auch als Ausgleich zum Schreibtisch. Nur ausgerechnet heute nicht.«
Batzko saß am Steuer, die linke Hand, wie es seine Art war, lässig auf das Lenkrad gelegt. Er steuerte den Wagen, als wäre er ein Autoscooter. Gerald registrierte die gleichmäßige Bräune der Haut, die das kurzärmelige Hemd in dieser
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