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Die Narbe

Die Narbe

Titel: Die Narbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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Haltung freigab. Es muss eine Automatenbräune sein, dachte Gerald, so viele Sonnentage hatte es in diesem Jahr noch nicht gegeben.
    »Die Frage nach den Kindern hat sie völlig aus der Fassung gebracht«, sagte Batzko unvermittelt.
    »Ja. Ist mir auch aufgefallen. Aber was ich nicht ganz verstehe, ist, dass Arno Reuther bei der letzten Gruppentherapie erzählt hat, dass er endlich mit seiner Frau gesprochen habe. Er war völlig geschafft. Es muss für ihn ungeheuer schwer gewesen sein, mit ihr über seine Erkrankung zu sprechen. Ist dir aufgefallen, dass seine Frau ihr ganzes Leben auf Kinder eingestellt hat? Da war sogar eine Kindergarderobe im Flur. Und eine Schaukel im Garten. Ich frage mich, wie sie sein Geständnis, also seinen Wunsch nach einer Rückenmarksdurchtrennung, wohl verkraftet hat. Wollte er überhaupt noch Kinder? Und wie sollte das dann praktisch funktionieren? Sollte er seinen Samen konservieren lassen?«
    Batzko antwortete zunächst nicht. Er schien ausreichend damit beschäftigt, sich diese Situation vor Augen zu führen. Als er schließlich zu Gerald hinüberblickte, zeigte seine Mimik den Ausdruck absoluter Fassungslosigkeit. »Sich das Rückenmark operativ durchtrennen lassen. Freiwillig! Das ist doch Wahnsinn! Das heißt: nie mehr vögeln. Immer im Rollstuhl. In Plastikbeutel scheißen. Nie mit den Kindern Fußball spielen. Nie einen Drachen mit ihnen steigen lassen. Nie im Meer mit ihnen baden. Und daneben noch eine Firma leiten. Gerald, mein sensibler Allesversteher: Du kannst sagen, was du willst, aber so jemand gehört, wenn überhaupt, am Gehirn operiert und nicht am Rückenmark.«
    »Vielleicht wird man es können, in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren. Wer weiß, ob man dann Epilepsie, Krankheiten wie das Tourette-Syndrom, Demenz oder was weiß ich alles chirurgisch oder medikamentös behandeln kann. Aber jetzt und hier kann man es nicht, und wir müssen akzeptieren, dass für Leute wie Alexander Faden und Arno Reuther die BIID-Erkrankung gewissermaßen größer ist als sie selbst.«
    Batzko antwortete nicht. Vermutlich verstand er nicht, dass es etwas Größeres geben konnte als den eigenen Körper. Gerald war es recht. Er dachte an Franziska und ihre Entscheidung, sich operieren zu lassen. Der Gedanke war ihm nach der Nacht mit ihr einfach unerträglich. Er hatte jeden Zentimeter ihres Körpers berührt und liebkost. Er konnte einfach nicht verstehen, wie sie einen Teil ihres Körpers auf eine so schreckliche Weise loswerden wollte.
    »Ich finde einfach keinen Grund dafür, dass Arno Reuther in der Therapie nicht die Wahrheit gesagt haben sollte. Er hatte sehr lange und sehr intensiv mit sich gerungen, wie er mit der Erkrankung umgehen sollte. Ich gehe davon aus, dass seine Frau bis dahin nicht einmal von der Existenz dieser Krankheit gewusst hat. Wahrscheinlich hat sie nur gefühlt, dass ihr Mann verzweifelt war. Ich kann mir schon vorstellen, dass Katja Reuther ihr Leben weiterhin mit ihrem Mann verbracht hätte, auch wenn er im Rollstuhl gesessen hätte. Das schaffen schließlich auch andere Frauen, deren Männer verunglücken. Aber dass Arno sich bewusst für eine solche Beeinträchtigung entscheiden wollte, war vielleicht zu viel für sie. Außerdem wäre ein normales Familienleben mit Kindern so undenkbar geworden.«
    Batzko steckte seinen Ellbogen aus dem Seitenfenster wie ein Manta-Fahrer. »Oder sie hat uns ein mögliches Motiv nicht auf dem Tablett servieren wollen. Hältst du es für möglich, dass sie ihm in ihrer Verzweiflung einen Papierspieß in die Brust rammt?«
    »Wir müssen es auf jeden Fall in Betracht ziehen. Zumindest war nicht viel Kraft nötig, um Arno Reuther aus dem Weg zu räumen. Du hättest ihn mal sehen sollen. Er bestand nur aus Haut und Knochen, die Rippen lagen so offen wie Klaviertasten. Du hättest ihn auf deinem Zeigefinger balancieren können.«
    »Sie hat ihn zur Arbeit gefahren. Das hat sie immerhin zugegeben«, sinnierte Batzko, ohne den Gedanken fortzuführen.
    Wenig später erreichten sie das Polizeipräsidium. Batzko fuhr in die Tiefgarage. Als sie im Aufzug standen, wurde Gerald plötzlich hundemüde. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, die Augen fielen ihm zu. Wie lange hatte er in der letzten Nacht geschlafen? Eine halbe Stunde? Eine Stunde? Mehr sicher nicht.
    Batzko grinste. »Eine kurze Nacht dank Severin? Wäre ich gestern Abend dabei gewesen, hätte ich dich so viele Kilos stemmen lassen, dass dich auch eine

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