Die Narben der Hoelle
sie ihm, was sie und ihr Team im Feldlazarett in Camp Marmal alles angestellt hatten, um ihn am Leben zu halten. Eine Woche lang hatte er dort gelegen, bevor sie ihn so weit stabilisiert hatten, dass er mit der ,Fliegenden Intensivstation’ der Bundeswehr, dem Airbus A-310 MEDEVAC, nach Deutschland ausgeflogen werden konnte.
Sie sprach von EKG und EEG, von Computertomografie und Sauerstoffsättigungskontrollen. Und davon, daß er im Lazarett und auch während des gesamten Transports im Flugzeug beatmet wurde und Infusionen erhalten hatte.
»Da wurde ja ein ziemlicher Aufwand getrieben, um mich am Leben zu halten«, murmelte er.
Es war lächerlich, das wusste er, aber zu hören, wie viele Menschen sich mit ihm hatten beschäftigen müssen, und dass er dann auch noch im modernsten Sanitätsflugzeug der Welt ausgeflogen worden war, das alles war ihm im Nachhinein peinlich. Auch jetzt noch.
»Na ja, das stimmt schon«, erwiderte die Ärztin lachend. »Aber wäre ihnen die Alternative lieber gewesen?«
»Sie müssen sich Zeit lassen, alles zu verarbeiten, was Sie erfahren«, sagte Oberstarzt Dr. Freund, Psychiater und Chefarzt, zu ihm. »Sie haben ganz hübsch was auf den Hut bekommen, vergessen Sie das nicht! Ohne Schutzhelm wären Sie auf der Stelle tot gewesen!«
Dr. Freund hatte so eine nette Art. Man musste ihn einfach mögen.
Um auszuschließen, dass Blutungen in seinem Gehirn unentdeckt blieben, war Johannes mehrmals ins MRT geschoben worden, während er auf seinen Wanderschaften über die Wellen war. Neuroradiologen und Neurologen hatten sich wochenlang intensiv mit seinem Kopf beschäftigt.
All das erzählte ihm Dr. Freund.
»Wir unterscheiden drei Grade des SHT, des Schädel-Hirn-Traumas«, erklärte ihm der Oberstarzt. »Sie haben den zweiten Grad, definiert nach dem GCS, dem , Glasgow Coma Score’. Man kann es auch einfach eine schwere Gehirnprellung nennen, was das Projektil bei ihnen angerichtet hat.«
»Wie schlimm ist das denn?« fragte Johannes und merkte sofort, was für eine kindische Formulierung das war.
Dr. Freund lächelte mild und antwortete: »Nicht so schlimm wie ein Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades, so viel steht fest.
Ein Herzchen, der Doktor.
»Physisch kriegen wir Sie wieder hin. Wahrscheinlich werden Sie noch ziemlich lange von posttraumatischem Kopfschmerz heimgesucht werden. Aber dagegen bekommen Sie Analgetika. Und auch die werden Sie irgendwann nicht mehr regelmäßig nehmen müssen, da bin ich sicher.«
»Und psychisch?« hakte Johannes nach. »Hab ich eine Macke? Bleibt da etwas zurück? Ein Tick oder so etwas … «
»Ach, wissen Sie, lieber Herr Clasen, irgendeine eine kleine Macke haben wir doch alle, oder?«, erwiderte der Arzt lächelnd. Dann wurde er aber schnell wieder ernst und sagte: »Nein, da brauchen Sie sich wirklich keine Sorgen zu machen. Nur Ihr Erinnerungsvermögen … «
»Ja, was ist mit meiner Erinnerung? Kommt die auch mal wieder zurück?«
Doch da wollte sich Dr. Freund – schade eigentlich, dass der Mann noch das ,n’ im Namen hatte, dachte Johannes – nicht festlegen. »Diese Amnesien sind eine häufige Begleiterscheinung von Gehirnprellungen. Bei Ihnen ist es eine Kongrade Amnesie. Wie lange die anhält, kann niemand sagen, fürchte ich.«
Kongrade Amnesie.
Inzwischen wusste Johannes, was das war. Es gab nämlich durchaus verschiedene Amnesien. Bei dieser konnte man sich an einen bestimmten Zeitraum nicht erinnern, jedoch an alles, was davor und danach passiert war.
Für ihn hieß das, dass er alles wusste bis zu dem Zeitpunkt, als er in die Höhle eingedrungen war. Und dann wieder, seit er hier einigermaßen zur Besinnung gekommen war.
Dazwischen lag nur Finsternis.
Dr. Freund sagte: »Es braucht Spezialisten für eine erfolgreiche Therapie. Und Sie werden lernen müssen, mit dem Erinnerungsverlust zu leben, solange der anhält. Deshalb werden wir Sie bald nach Freiburg in die Uniklinik überweisen. Man wird sich dort mit allen Aspekten Ihrer Amnesie beschäftigen.«
»Wieso Freiburg?«, fragte Johannes.
»Die Bundeswehr richtet gerade erst ihr Traumazentrum in Berlin ein. Außerdem liegt Freiburg in der Nähe Ihres Wohnorts. Sie werden vermutlich nicht durchgehend stationär behandelt werden müssen. Ist doch praktisch, wenn Sie’s nicht so weit nach Hause haben. Aber der wichtigste Grund ist natürlich, dass sie dort am Neurozentrum hervorragende Spezialisten haben. Die werden Ihnen helfen – wirklich sehr gute Leute
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