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Die Narben der Hoelle

Die Narben der Hoelle

Titel: Die Narben der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Dieter Neumann
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schnell sein, denn es war zu befürchten, dass der Hubschrauber nicht unentdeckt geblieben war. Unwahrscheinlich zwar, dass man ihn im Berg gehört hatte, aber vielleicht meldete jemand aus der Siedlung seine Beobachtung in die Höhle.
    Lange hatten sie erwogen, ob es eine weniger spektakuläre Möglichkeit zur Annäherung an die Höhle gab. Aber die Gefahr, entdeckt zu werden, wäre für mehrere in den Felsen herumkraxelnde Soldaten mit voller Kampfausrüstung einfach zu groß gewesen.
    So war es schließlich auf den Helikopter hinausgelaufen. Der stand nun auf der anderen Seite des Berges und konnte jederzeit innerhalb einer Minute wieder hier sein, um sie auszufliegen.
    Hoffentlich mitsamt den befreiten Geiseln. Und hoffentlich nicht als Verwundetentransport …
    Ein letzter Blick auf die Uhr. Es war so weit.
    Kurz und prüfend schaute Johannes noch einmal jedem seiner Soldaten ins Gesicht. Dann sagte er mit ruhiger Stimme: »Ich gehe als Erster, dann Mertens, dann du, Paule. Jassner bleibt hier und sichert den Eingang wie besprochen. Jemand noch eine Frage?«
    Schweigen und Kopfschütteln bei allen.
    »Angriff!« rief Johannes, hob seine MP 7 in Hüfthöhe und sprang in den Höhleneingang, sofort gefolgt von Unteroffizier Mertens. Als Letzter stürmte Paule in die Dunkelheit.
    *
    Jamal warf einen Blick auf seine Uhr.
    Gleich mussten sie kommen.
    Er lauschte angespannt. Von nebenan drangen die Stimmen der Wachen gedämpft herüber. Sonst war nichts zu hören. Auch die drei kleinen Jungen gaben keinen Laut von sich, sondern kauerten verschreckt an der feuchten Felswand.
    Er holte das Zigarettenetui heraus und steckte sich eine seiner Selbstgedrehten zwischen die Lippen. Seine Hand zitterte vor Erregung, als er das Feuerzeug aufschnappen ließ.
    Im selben Moment, in dem die Flamme die Zigarette berührte, fielen die ersten Schüsse.
    Schlagartig wich die Stille einem Inferno bellender, trockener Feuerstöße aus mehreren Maschinenpistolen. Rasch kam der Gefechtslärm näher, das Stakkato der Salven wurde lauter und lauter. Gebrüllte Kommandos, begleitet von durchdringenden Schmerzensschreien, hallten durch das Gewölbe.
    » Allahu akbar! « , rief Jamal, sprang auf und entsicherte seine schwere Pistole.

25
Mai bis Juni
Deutschland
    Er geht über die Wellen. Sein Blick ist fest auf den Punkt am Horizont gerichtet, an dem die Sonne als glutroter Ball dicht über der See steht.
    Es geht ganz leicht. Er spürt sein eigenes Gewicht nicht, schwebt fast federgleich über das Wasser. Seine bloßen Füße fühlen die Säume der Wellen wie kleine Unebenheiten auf einem warmen, stabilen Untergrund. Der Wellenteppich bewegt sich angenehm ruhig, bringt ihn nicht aus dem Gleichgewicht. Er zieht ihn in seinen vollkommenen, gleichförmig wogenden Rhythmus, an den Fußsohlen beginnend, weiter durch den ganzen Körper und bis hinein in den Kopf.
    Der Rhythmus nimmt ihn ganz und gar in Besitz.
    Ewig wollte er so gehen können. Der Feuerball am Horizont bewegt sich nicht, geht nicht unter, verharrt hell strahlend direkt am Rande der sichtbaren Welt. Der Himmel wölbt sich als gewaltige stahlblaue Kuppel über ihm. Die Luft ist erfüllt vom Duft der See, von verheißungsvoller Morgenfrische und schläfriger Abendbrise zugleich.
    Er wandert auf dem daunigen Wasserteppich, passt sich dessen Heben und Senken willig an, den Blick auf das ferne rotgoldene Glühen gerichtet.
    Die sanften Wellenbewegungen wecken eine Erinnerung in ihm, bringen ein neues Bild: So hat er das Meer erlebt in jenem kalten Winter. Mit Corinna.
    Sie stehen nach einer langen Nacht im Licht des heraufziehenden Tages an einem menschenleeren Strand und sehen auf die Ostsee hinaus. Das Meer ist kurz davor, zuzufrieren, die Wasseroberfläche eine weite Decke von Millionen kleiner Eispartikel, keine Schollen noch, nur weiße, dicht aneinander gepresste, aber frei bewegliche Flocken Eises, die sich unter einem strahlend blauen Himmel sanft in trägem Rhythmus wiegen. Trotz der klirrenden Kälte sieht dieser Eisteppich warm und einladend aus.
    Seine Sinne nehmen den Takt der gleichförmigen Schwingungen auf, formen die rhythmische Dynamik der Wellen im Kopf zu einer nie gehörten Musik, zu warmen Tönen von einem geheimnisvollen Zauber, der ihn ganz ausfüllt. Er hört und fühlt den Klang, und die große Kuppel über ihm ist ein Dom aus Musik.
    In vollkommener Harmonie von Bewegung, Klang und Licht setzt er seine Füße auf den Wellenteppich. Die schwarze Tiefe darunter

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