Die Narben der Hoelle
hässlicher hätte aussehen können.
Oberst Heidebrandt gehörte zum MAD und war der Vorsitzende der Kommission, die vom Ministerium eingesetzt worden war, um die Vorfälle bei der Aktion zur Befreiung der Geiseln aufzuklären.
»Lassen Sie sich Zeit. Wir möchten Sie schonen«, sagte der Oberst stets und verzog missmutig sein Gesicht, wenn eine seiner Fragen unbeantwortet blieb. »Machen Sie sich keine Gedanken, Herr Clasen. Wir kommen wieder!«
Warum klang das wie eine Drohung?
Diesmal hatte Johannes der Kommission vorgeschlagen, für ihr Gespräch in die Cafeteria zu gehen. Das war Plastikanzug aber nicht recht gewesen. Johannes hatte dann mit ihm und seinen Leuten in einem Besprechungsraum auf der neurologischen Station gesessen.
»Schauen Sie, Herr Clasen«, sagte der gutmütige Plastikanzug, »wir verstehen ja, dass es Ihnen noch schwerfällt, sich an alles zu erinnern. Aber das müsste nun bald besser werden. Sie sind schließlich schon fast drei Monate hier in Behandlung. Wir müssen uns endlich ein vollständiges Bild machen können. Wir haben inzwischen eine Menge Indizien gesammelt. Und ich will ganz aufrichtig zu Ihnen sein: Es spricht einiges dafür, dass Sie eine schwere … Verantwortung auf sich geladen haben!«
Für Johannes klang der Satz wie: »Sag uns gefälligst, was du uns verheimlichst, damit wir dich in die Pfanne hauen können. Ich will endlich den Scheißbericht vorlegen können, du Simulant!«
Aber so würde sich Plastikanzug natürlich nie ausdrücken. Dafür war er viel zu kultiviert.
Seine Lastwagenplane war bestimmt nur ein Ausrutscher.
Er durfte inzwischen das Bett verlassen, wann er wollte, und konnte mit seinem dick verbundenen Kopf im ganzen Krankenhaus herumlaufen. Gern hielt er sich in der Cafeteria auf, vor allem, wenn Paule zu Besuch kam. Dann tranken sie Kaffee und aßen frischen Erdbeerkuchen mit viel Schlagsahne. Und Paule erzählte, was in der Höhle geschehen war, soweit er es miterlebt hatte. Immer wieder bat Johannes ihn, die Geschichte in allen Einzelheiten zu wiederholen. Paule wurde nie ungeduldig. Er sah seinen Freund dabei mit einem forschenden Blick an, aber er beschrieb ihm gleichmütig stets aufs Neue alle Details der Aktion.
Auf dem Wellenteppich wanderte er nur noch in der Nacht, allerdings auch nicht mehr in jeder. Manchmal – sehr selten – durfte er auch tagsüber auf die Wellen fliehen. Seit keine Feuerwerkskörper mehr explodierten, seit die Blätter grün blieben und das Bettlaken weiß, seit sein Blick sich geklärt und er seine Worte wiedergefunden hatte, waren seine Tage ausgefüllt mit quälendem Nachdenken. Fast meinte er zu spüren, wie tausende kleiner Zahnrädchen in seinem Kopf rotierten.
Ohne Unterlass drehten sie sich, spieen einzelne Szenen aus, die in keinerlei Zusammenhang zueinander standen, und führten ihm bruchstückhafte Bilder vor Augen, die er nicht zuordnen konnte. Manchmal gab es eine Art Klick in seinem Gehirn. Dann fügte sich das Erzählte in einen Ablauf ein und wandelte sich so zu einem kleinen Erinnerungsteilchen. Mehr gelang den vielen Rädchen aber nicht.
Doch sie gaben nie auf. Die Zahnräder drehten sich weiter.
Immerfort.
»Corinna hat mich angerufen«, sagte Paule.
Johannes blieb stumm.
»Sie hat gesagt, sie sei vorgestern hier gewesen, um dich zu besuchen. Aber du wolltest sie nicht sehen.«
»So ist es.«
Paule stand am Fenster und sah hinaus auf die Bäume. Er schwieg.
Nach einigen Minuten sagte Johannes: »Angeblich ist sie vorher schon einmal hier gewesen. Kurz, nachdem ich eingeliefert worden bin. Hat mir die Stationsschwester erzählt.«
»Hm. Ich weiß. Davon hast du gar nichts mitbekommen.«
Wieder herrschte minutenlanges Schweigen. Drückende Stille. Nur eine dicke verwirrte Hummel prallte immer wieder von außen gegen die Fensterscheibe.
Schließlich sagte Johannes: »Ich habe ihren Brief hier in der Nachttischschublade.«
»Aha«, sagte Paule.
»Mehr Corinna brauche ich nicht mehr.«
Paule schwieg weiter. Es gab nichts dazu zu sagen.
Auch die Oberfeldärztin aus Mazar-i-Sharif besuchte ihn. Sie war wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Bevor sie sich auf den Weg nach Hamburg machte, wo sie als Oberärztin arbeitete, war sie nach Koblenz gefahren. Sie wollte sehen, wie es ihrem ehemaligen Patienten ging.
Johannes war gerührt. »Das ist aber eine sehr liebe Geste von Ihnen«, sagte er.
»Unsinn«, antwortete die Ärztin burschikos. »Reine medizinische Neugier!«
Dann erzählte
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