Die Naschmarkt-Morde
vor der Sonne hatten, beobachteten müde blinzelnd die vorbeiwandelnden Passanten. Arbeiter, die weitere gemauerte Marktstände errichten sollten, waren vor der Mittagshitze geflüchtet – wahrscheinlich in eines der kühlen Beisln mit gestampftem Lehmboden, deren es in unmittelbarer Nähe einige gab. All das registrierte Joseph Maria Nechyba, während er den Markt überquerte, um ins Café Sperl zu gehen.
Dort wurde er vom Oberkellner mit einem ironischen »Kompliment, Exzellenz!« begrüßt. Nechyba erwiderte den Gruß und nahm mit Erleichterung die Kühle im Inneren des Cafés wahr. Er begab sich zu seinem Stammplatz – nicht ohne sich zuvor eine Extraausgabe der heutigen Zeitung zu angeln. Ächzend ließ er sich auf der Bank nieder und stierte den Aufmacher des Blattes an:
›Mord!‹ stand dort in fetten Lettern und darunter: ›Junge weibliche Person wurde nächtens am Naschmarkt umgebracht.‹
Nechyba seufzte und ließ die Zeitung sinken. Der Oberkellner fragte im Vorbeigehen: »Wie immer, Exzellenz?«
Nechyba nickte und widmete sich der Lektüre.
»Diese Journalisten«, murmelte er. »Haben keine Ahnung von gar nix, aber schreiben darüber seitenweise …«
»Na, na, mein lieber Nechyba. Der Mord scheint Ihnen ja ganz schön an die Nieren zu gehen.«
Adolf Kratochwilla, der Besitzer des Cafés, setzte sich auf den freien Stuhl neben den Inspector. Dieser sah auf und knurrte: »Jeder Mord geht mir an die Nieren. Wurscht, ob ich dafür beruflich zuständig bin oder nicht.«
»Ist ja schon gut«, beschwichtigte der Cafetier. »Aber komisch finde ich die ganze Sache schon. Weil, normalerweise bei Streitereien zwischen den Huren und ihren Zuhältern werden die Weiber meist erschlagen oder erstochen. Aber mit einem Tuch stranguliert, das ist neu.«
»Woher wissen Sie denn, dass das Mädel stranguliert wurde?«, fragte Nechyba in einem scharfen Ton. »Das steht in keiner Zeitung. Das wissen nur wir Polizeiagenten und Sicherheitswachleute … und der Täter.«
Kratochwilla war verblüfft: »Aber das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern. Und so ein Hausierer vom Naschmarkt hat mir das vorhin auch gerade erzählt.«
»So, so … ein Hausierer …«, grunzte Nechyba und nahm einen Schluck von seinem doppelten Mokka.
»Und was erzählte er sonst noch?«
»Na, nix.«
»Excusez moi«, mischte sich eine Stimme ein. »Wenn es den Herrn Inspector interessiert, also das mit dem seidenen Tuch hab ich auch schon gehört.«
Nechyba und Kratochwilla wandten sich um und sahen, dass diese Wortmeldung vom Baron Schönthal-Schrattenbach kam.
»Aha, ein Seidentuch soll die Tatwaffe gewesen sein … Das wird ja immer interessanter!«, knurrte Nechyba. »Alle Welt weiß inzwischen Details über diesen Mord, nur wir von der Polizei tappen im Dunkeln. Also, Herr Baron, wenn Sie schon so gut informiert sind, dann können Sie mir am Ende vielleicht sogar den Mörder verraten?«
»Der Herr Inspector belieben zu scherzen«, antwortete Schönthal-Schrattenbach indigniert. »Naturalement ist mir der Mörder nicht bekannt. Anderenfalls hätte ich ja schon längst die Sicherheitswache davon in Kenntnis gesetzt. Apropos Kenntnis: Wer ist das Mädel, das da ermordet worden ist?«
Nechyba schüttelte stumm den Kopf, während der Cafetier weitere Einzelheiten des allgemeinen Tratsches zum Besten gab: »Angeblich ist das ein Mädel aus den besseren Kreisen, aus Ihren Kreisen, Herr Baron. Sie soll sehr teuer angezogen gewesen sein …«
»Na sapperlot! Das hab ich ja noch gar nicht gehört. Das ist ja eine kuriose Neuigkeit. Das wäre ja ganz schön fatal, wenn das der Wahrheit entsprechen täte … Das wäre sogar sehr fatal.«
»Was wäre fatal?«, fragte Nechyba.
»Na, wenn das Mädel eine Adelige wäre. Dann müsst’ ich mir ja ernstlich Sorgen machen. Weil, meine Cousine ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen …«
»Ihre Cousine ist nicht heimgekommen? Passiert das öfter?«
»Herr Inspector! Meine Cousine ist ein anständiges Mädel. Aber gerade deswegen mache ich mir ernsthaft Sorgen.«
»Wenn dem so ist, dann muss ich Sie jetzt bitten, mitzukommen. Sie werden mit mir einen Ausflug in die Gerichtsmedizin machen und dort einen Blick auf die Tote werfen. Wir werden ja sehen, ob die Tote Ihr Fräulein Cousine ist oder nicht.«
»Na geh. Das ist ja horribel. Ich soll mir eine Leiche anschauen? Damit verderben Sie mir den ganzen Tag.«
»Das bedauere ich zutiefst, aber ich bestehe darauf. Was sein muss, muss
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