Die Naschmarkt-Morde
eh … solche Geräusche halt …«
Goldblatt biss sie in den Hals, sie stöhnte vor Wollust. Er flüsterte ihr ins Ohr: »Solche Geräusche?«
»Ja, solche … und ich weiß auch, wann das war. An dem Abend, an dem die Gräfin am Naschmarkt erdrosselt worden ist. Deshalb weiß ich auch, dass der Planetenverkäufer nur das Dienstmädel und nicht die Gräfin umgebracht haben kann. Außerdem wäre es ja noch schöner, wenn eine echte Gräfin mit so einem Subjekt etwas zu schaffen gehabt hätte!«
VII/3.
Vorwitzig blinzelten morgendliche Sonnenstrahlen durch das schmale Fenster ins Kammerl der Aurelia Litzelsberger. Sie war schon auf und wusch sich gerade im Lavoir. Die Morgentoilette erfolgte heute mit besonderer Sorgfalt. Nicht nur, weil Sonntag war, sondern weil sie mit ihrem Nechyba eine Landpartie machen wollte. Ja, ja, der Nechyba … Noch vor etwas über einem Monat hätte sie es für gänzlich unmöglich gehalten, sich in ihrem Alter noch einmal zu verlieben. Aber dieser dicke Nechyba …
Sie schmunzelte zärtlich, als sie an den Mann dachte, der äußerlich so bedrohlich wirkte und der innerlich mit dem Gemüt eines empfindsamen Kindes ausgestattet war. Wehmütig erinnerte sie sich an die vergangenen drei Wochen zurück, in denen die Familie Schmerda am Semmering auf Sommerfrische gewesen war. Sie selbst war – so wie jedes Jahr – in Wien geblieben, hatte die hofrätliche Wohnung gehütet und so manche freie Stunde mit Nechyba genossen. Nicht mit Schmäh und auch nicht mit Charme eroberte der im Umgang mit Frauen etwas tollpatschige Inspector ihre Gefühle, sondern mit Geradlinigkeit. Der Nechyba – und da war sie sich mittlerweile sicher – war einer, der aus seinem Herzen keine Mördergrube machte. Der, wenn ihn etwas ärgerte, sofort grantig wurde, und der andererseits, wenn ihn etwas berührte, diese Regung nicht elegant überspielte, sondern offen zeigte. Ein Feinschmecker, der ohne Ausbildung zu kochen angefangen hatte und der alle Fehler, die man als Dilettant in der Küche macht, in der ihm eigenen, unbeholfenen Art beging. Dieser Nechyba!
Nach Beendigung der Morgentoilette holte die Litzelsbergerin das helle Leinenkostüm aus dem Schrank, das sie nur im Sommer und nur an ihren freien Sonntagen trug. Zur Feier des Tages kramte sie das Goldmedaillon hervor, das sie einst zur Firmung geschenkt bekommen hatte und in dem sie ein Bild ihrer Mutter aufbewahrte. Sie legte es um den mit Rüschen besetzten Stehkragen ihrer weißen, frisch gestärkten Bluse. Dann setzte sie ihren Strohhut auf, ging in die Küche und weckte die Gerti 74 . Ein blutjunges, kräftiges Ding, das willig zupackte und das im Großen und Ganzen ein bisserl dumm war. Im Gegensatz zur Mizzi zeigte die Gerti vorläufig keine Anwandlungen, Extratouren zu machen, Liebschaften einzufädeln oder den Kopf bei anderen Dingen als bei ihrer Arbeit zu haben. Insofern war die Köchin mit ihrer Wahl zufrieden. Gleichzeitig bekam der sonnige Morgen mit der Erinnerung an das ermordete Dienstmädel eine bittere Note. Die arme Mizzi …
Aurelia Litzelsberger seufzte; sie bedauerte es zutiefst, dass sie die Mizzi oft sehr hart angepackt hatte. So manche Ohrfeige wäre ja nicht unbedingt notwendig gewesen.
Bevor die Köchin ging, befahl sie der Gerti, die laut gähnte und sich den Schlaf aus den Augen rieb, den Ofen anzuheizen. Außerdem musste sie Kaffee kochen und den am Vortag gebackenen Gugelhupf in Stücke schneiden und auf einem großen Teller ordentlich anrichten. Weiters sollte sie beim Decken des Frühstückstisches nicht das Glas Wasser für den Herrn Hofrat vergessen.
»Und wasch dir gefälligst nach dem Einheizen die Hände. Dass du mir mit deinen Schmutzfingern keine Abdrücke auf das Frühstücksporzellan machst!«
Der Orgelklang und das vielstimmige Gloria in excelsis deo erfüllten die barocke Kuppel der Karlskirche. Hier unter den monumentalen Fresken Johann Michael Rottmayrs fand sich Aurelia Litzelsberger jeden Sonntag zur Frühmesse ein. Die Köchin genoss im Schmerda’schen Haushalt das Privileg, jeden Sonntag dienstfrei 75 zu haben, denn an diesem Tag führte der Hofrat seine Familie zum Essen aus. Die Messe in der prunkvollen Karlskirche entschädigte Aurelia Litzelsberger für alle Mühen der langen und harten Arbeitswoche. Nach dem Gottesdienst schlenderte sie über den Karlsplatz sowie über den still und verlassen daliegenden Naschmarkt. Sie überquerte die Magdalenenstraße und kehrte in das prächtige
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