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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ertönte hinter mir ein lauter Schrei:
    »Der Gefangene flieht!«
    So schnell ich konnte rannte ich los, ohne mich umzusehen, den Gang hinunter, an den Zellentüren vorbei. In den Kammern erwachten die Gefangenen aus ihrer Erstarrung. Einige begannen, an den Türen zu rütteln. Mit einem Mal war das ganze Verlies von ohrenbetäubendem Lärm erfüllt.
    Als ich den Raum erreichte, sah ich gerade noch, wie Faustus schwarzer Haarschopf hinter der Brüstung des Abfallochs untertauchte. Hinter mir ertönten weitere Rufe. Rüstzeug klirrte. Stiefel schepperten über Stein. Einer der Verfolger war direkt hinter mir. Ich spürte ihn mehr, als daß ich ihn sah. Er schrie mir irgend etwas in den Nacken; in der Hetze des Augenblicks verstand ich kein Wort.
    Ohne mich zu vergewissern, ob Faustus bereits in Sicherheit war, schwang ich mich über die Brüstung und verschwand mit einem wilden Aufschrei im Schacht. Ich schabte an den Wänden vorüber, holte mir in einem einzigen Augenblick eine ganze Fülle von Abschürfungen und blauen Flecken und rutschte dann den gewundenen Tunnel hinab. Ich riß die Arme vor den Kopf, um ihn vor abstehenden Steinkanten zu schützen, und sauste brüllend in die Tiefe.
    Mit einem widerlichen schmatzenden Laut klatschte ich schließlich in die Schlackepfütze am Fuße des Schachts. Benommen und mit schmerzenden Gliedern blieb ich einen Moment lang liegen. Ich erwartete, daß Faustus, wenn ich die Augen aufschlug, bereits aufrecht dastehen würde, mit sauberer Kleidung und ungeduldigem Blick. Doch als ich endlich zu mir kam und mich umsah, da saß der große Magier ebenso erbärmlich wie ich selbst inmitten schwarzen Schlamms.
    Murrend und stöhnend rappelten wir uns auf.
    »Wir müssen uns beeilen«, keuchte ich. »Die Soldaten werden bald hiersein.«
    Faustus nickte und fragte: »Wer seid Ihr, junger Freund?«
    Ich nannte ihm meinen Namen.
    »Und wer schickt Euch?«
    Ich schüttelte unwillig den Kopf und machte mich daran, durch Ginster und Dornensträucher einen Weg zu bahnen. »Später«, gab ich ihm zur Antwort. »Folgt mir, dann werdet Ihr Euren Wohltäter treffen.«
    Er eilte mit großen Schritten hinter mir her. »So wie ich es sehe, seid erst einmal Ihr selbst mein Wohltäter.«
    »Später ist genug Zeit, um sich dafür erkenntlich zu zeigen«, entgegnete ich und gratulierte mir selbst für meinen einfühlsamen Hinweis auf die erwartete Belohnung.
    Wir zwängten uns wortlos durchs Geäst. Hinter uns wurden Stimmen laut. Auf den Zinnen der Stadtmauer regte sich etwas, Fackeln huschten in der Dunkelheit hin und her. Die Bahn, die wir ins Buschwerk schlugen, war nicht zu übersehen. Unser einziger Vorteil war der Vorsprung, den wir vor unseren Verfolgern hatten.
    Nach einer Weile erreichten wir einen schmalen Pfad, der schon bald im Wald verschwand. Ihm folgten wir, dann wandte ich mich rechterhand ins Unterholz. Faustus folgte mir bereitwillig. Wir kamen an einen schmalen Bach, kaum mehr als ein Rinnsal, dessen eiskaltes Wasser mir gerade bis zu den Knöcheln reichte. In der Hoffnung, die Strömung würde unsere Spuren verwischen, liefen wir durchs Wasser nach Norden, immer auf der Hut, auf dem kiesigen Grund nicht den Halt zu verlieren. Ich war sicher, daß man Hunde zu unserer Verfolgung einsetzen würde, doch auch sie würden im Wasser Mühe haben, unsere Fährte aufzunehmen. In der Ferne hörte ich bereits ihr Kläffen und Winseln.
    Wir mochten eine halbe Meile durch den Bach gelaufen sein, als ich Faustus zuzischte, die Böschung zur Rechten zu erklimmen. Dahinter lag eine Waldlichtung, auf der ich am Nachmittag zwei Pferde bereitgestellt hatte. Ich hatte sie im Auftrag meines Vormunds von einem durchreisenden Händler kaufen müssen (von seinem Geld, versteht sich). Daran mag man erkennen, wieviel dem alten Bastard an Faustus’ Freiheit lag.
    Auf den Pferden galoppierten wir entlang eines Waldweges weiter gen Norden, bogen am Waldrand in westliche Richtung und ritten von dort aus eine ganze Weile geradeaus über weite, gewellte Wiesen, bis wir ein einsames Haus erreichten. Es thronte auf einem kahlen Hügel, weithin sichtbar im Mondschein. Das Gebäude besaß zwei Stockwerke. Das Dach war an einer Seite zusammengesackt und hing durch wie ein Stück Zeltplane. Die Fenster waren winzig klein, die Haustür zweiflügelig. An der Südseite des Hauses kauerte ein niedriger Schuppen; er lehnte sich schief gegen die Mauer wie ein altes Weib nach einem mühsamen Gang zum Marktplatz.
    Der

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