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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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aus, mit der er uns selbst in diesem Augenblick nicht schonte.
    Anschließend sagte er: »Wie dem auch sei, Friedrich steht auf meiner Seite und hat mir mehr als einmal angeboten, in schlechten Zeiten den Schutz seiner Mauern zu suchen. Als ich erfuhr, daß Ihr, Faustus, Euch in dieser Gegend aufhaltet, sandte ich vorsorglich einen Brief an meinen Gönner. Er sollte ihn spätestens übermorgen erreichen. Darin erwähnte ich, daß es nötig sein könnte, einem guten Freund und Kampfgefährten Unterschlupf zu gewähren – Ihr seht, meine Voraussicht war nicht unbegründet. Friedrich hält sich zur Zeit auf der Wartburg auf. Ihr kennt sie sicher: Sie reckt ihre Türme über Eisenach, unten an der Grenze zum Hessischen, fünf Tagesritte von hier.«
    Martinus erhob sich von seinem Stuhl, trat an ein Bündel, das in einer Ecke des Raumes lag, und zog ein gefaltetes Papier hervor. »Friedrich schrieb mir schon vor Monaten diesen Passierschein. Mein Name steht darin, doch weiter südlich kennt niemand mein Gesicht. Es sollte Euch keine Schwierigkeit bereiten, damit bis zur Wartburg zu gelangen. Sagt allen, die Euch fragen, Euer Name sei Luther, und zeigt Ihnen dieses Papier. Man wird glauben, Ihr reist unter dem Schutze des Kurfürsten. Ich bin sicher, Friedrich wird Euch auf der Burg warmherzig empfangen, denn er haßt die Allmacht der Pfaffen. Ich bürge für Euch mit meinem Namen, allein das wird ihm genügen.«
    Faustus nahm den Passierschein zögernd und mit sichtlicher Rührung entgegen. »Ich weiß nicht, ob ich Euer Angebot annehmen kann, lieber Freund.«
    »Ach was!« rief Martinus aus. Seine wegwerfende Geste verriet Großmut, die der alte Knauser mir gegenüber nie hatte walten lassen. »Die Stunde, in der ich selbst Friedrichs Hilfe benötigen werde, wird noch lange nicht schlagen. Und bedenkt: Ihr könnt meine Unterstützung nicht ablehnen, denn der Kurfürst erwartet Euch bereits – spätestens dann, wenn mein Brief bei ihm eintrifft.«
    Nun, wir alle wissen, wie es tatsächlich kam: Im Jahre 1521, sechs Jahre später, verhängte der Reichstag zu Worms eine Ächtung über den aufmüpfigen Mönch. Seine reformerische Lehre wurde verboten, ihm selbst drohten Kerker und Schlimmeres. Damals entschloß sich Kurfürst Friedrich zum Eingriff und gewährte Martinus Unterschlupf auf der Wartburg. Dort residierte er als »Junker Jörg« und begann mit der Übersetzung des Neuen Testaments. In jenem Jahr traf ich ihn wieder, wir saßen lange beisammen und leerten so manchen Becher (wobei sich sein Geiz als der alte erwies, denn die Zeche überließ er mir).
    Im alten Siechenhaus bei Wittenberg ahnte freilich keiner von uns, was die Zukunft bringen würde – Faustus vorsichtig ausgenommen. Bruder Martinus griff erneut in sein Bündel und zog zwei Kutten der Augustinermönche hervor.
    »Nehmt sie, sie werden Euch während der Flucht von Nutzen sein«, sagte er.
    Man mag es mir als Dummheit auslegen, doch zu jenem Zeitpunkt glaubte ich noch, beide Kutten seien für Faustus. Ich wunderte mich allerdings, weshalb mir die eine kürzer als die andere erschien, zog es jedoch vor, zu schweigen.
    Faustus nahm auch die Kleidungsstücke an sich, doch seine Miene blieb voller Zweifel. »Und Ihr denkt, Friedrich wird einem gesuchten Ketzer Einlaß gewähren?«
    Martinus nickte eilig. »Glaubt mir, mein Wort bedeutet ihm viel. Ich habe Euch als vortrefflichen Gelehrten geschildert, und freilich wird er Euren Namen längst kennen. Friedrich ist ein großzügiger Mann, mit dem Herzen am rechten Fleck.«
    Tatsächlich wurde später im gemeinen Volk behauptet, zu Friedrichs Sterbestunde seien überall im Land Regenbögen erstrahlt, und Martinus selbst sollte berichten, im Augenblick von Friedrichs letztem Atemzug sei »ein Kind zu Wittenberg ohne Haupt geboren und noch eines mit umgekehrten Füßen.« Luther blieb bis zuletzt ein Mann starker Worte.
    Ich ahnte, daß sich das Gespräch dem Ende entgegenneigte, und noch immer war kein Wort über meine Belohnung gefallen. Daher mühte ich mich redlich, den Augenblick des Aufbruchs hinauszuzögern. »Was aber«, so fragte ich, »wenn auf dem Weg Asendorf selbst des Doktors habhaft wird? Sicher wird er sich durch keinen Passierschein der Welt beeindrucken lassen.«
    Faustus runzelte die weiße Stirn. »Dem gilt es durch Eile entgegenzuwirken.«
    »Das ist wahr«, bestätigte Martinus. »Das Schreiben des Fürsten kann euch nur vor Übeln auf dem Weg bewahren, nicht aber vor Asendorfs

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