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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Hügelkuppe selbst entsprossen ein paar einsame Halme und wiegten sich lautlos im Wind. Der Westhang endete in weiteren dichten Wäldern, die tief hinein ins Nachtdunkel reichten.
    Vor dem Eingang zügelten wir die Pferde. Darüber hing ein Holzschild mit eingebranntem Schriftzug: Siechenhaus.
    »Stellen wir die Tiere im Schuppen unter«, sagte ich, »sonst sieht man schon von ferne, daß wir hier sind.«
    Faustus lächelte, als belustige es ihn ungemein, daß ich hatte annehmen können, er käme nicht selbst auf diesen Einfall. Wir brachten die Pferde in den Schuppen, wo bereits ein drittes Tier an einem Balken festgemacht war. Mein Patron war also schon hier.
    Eilig liefen wir zur Haustür, und zum ersten Mal beobachtete ich bewußt, wie Faustus sich bewegte. Mehr noch als bei seinem ersten Anblick schien er mir nun wie eine große Heuschrecke, mit seinen langen, dünnen Gliedern, die sich ungewöhnlich flink voranbewegten. Ich wußte nicht, ob Magier auch mit dem Schwert umzugehen verstanden, doch Faustus’ augenfällige Gewandtheit war die beste Voraussetzung für einen geschickten Fechter.
    Ich wollte eben die Tür öffnen, als sie von innen her aufgerissen wurde. Mein Vormund stand im Rahmen, ein schwarzer Scherenschnitt gegen das Licht einer einsamen Kerze. Seine Tonsur glänzte wächsern.
    »Los, herein mit euch!« raunte er uns zu und trat zur Seite.
    Faustus und ich traten ein, und mein erpresserischer Mäzen warf die Tür hinter uns zu. Dann kam er auf Faustus zu, schüttelte ihm die Hand und umarmte ihn. Der Doktor erwiderte die Geste ohne Vorbehalt.
    »Luther«, sprach Faustus voller Wärme, »ich ahnte, daß Ihr dahintersteckt.«
    Es war ungewöhnlich, daß er ihn beim Familiennamen nannte. Ich kannte ihn nur als Bruder Martinus, Halter des Lehrstuhls für Theologie an der Universität zu Wittenberg. Ihn hatte der selige Braumeister zu meinen Vormund bestimmt. Sicher, Martinus meinte es gut mit mir. Doch änderte das nichts an der schmachvollen Tatsache, daß er mich aufs Übelste genötigt hatte, mein eigenes Leben für das des Doktors aufs Spiel zu setzen. Jetzt erst wurde mir klar, wie gefährlich nah ich selbst am Scheiterhaufen vorbeigeschlittert war – vorausgesetzt, Asendorfs Schergen hätten nicht gleich kurzen Prozeß mit mir gemacht.
    Martinus hatte eine ausgeprägte, weit vorgewölbte Stirn, die seinem Blick stets etwas Finsteres verlieh. Seine Nase war groß und bucklig, die Wangenknochen scharf. Er hatte ein tiefes Grübchen unterhalb der Unterlippe, so daß es aussah, als verziehe er den Mund immerzu im Trotz. Sicherlich ging das nicht allzu nah an der Wahrheit vorbei: Sein Widerstand gegen alles und jeden, vor allem aber gegen den Heiligen Stuhl, war eines seiner hervorstechendsten Merkmale. Manch einer sagte ihm eine große Zukunft voraus. Ich selbst aber glaubte damals viel eher, daß auch er eines Tages zu weit gehen und bei der Inquisition in Ungnade fallen würde. Stets und ständig schwafelte er davon, das Übel an seiner Wurzel zu packen und die Kirche von Grund auf neuzugestalten; ein Traum, den insgeheim so mancher hegte, wenngleich keiner wagte, ihn so deutlich auszusprechen, wie Bruder Martinus dies tat. Nein, dachte ich damals, mit einem wie ihm mußte es ein ungutes Ende nehmen – freilich wurde ich bald schon eines Besseren belehrt.
    »Ich bin froh, Euch wiederzusehen«, polterte Martinus und wischte sich Schweiß vom kahlrasierten Kopf. Allein ein dunkler Haarkranz war ihm von seiner einstigen Lockenpracht geblieben (an die zu erinnern er nie müde wurde). Ein paar Jahre später kehrte er der Tracht der Augustinermönche den Rücken und ließ sein Haar wieder wachsen, was ihm, wie ich fand, weitaus besser zu Gesichte stand.
    »Ihr seid ein wahrer Freund in der Not, Luther«, entgegnete Faustus und löste sich aus der Umarmung des Mönchs. »Aber verratet mir, wer dieser mutige Junge ist, den Ihr zu meiner Rettung entsandt habt.«
    Martinus blickte mich an, lächelte breit und schlug mir so kräftig auf die Schulter, daß ich fast zu Boden ging. »Der treue Wagner, mein Mündel. Er studiert die Theologie, genau wie einst Ihr selbst. Ein guter Junge – allerdings mit einem eigenen Willen. Ich mußte ihn, nun, überreden, Euch aus dem Kerker zu holen.« Dabei lachte er schallend.
    Überreden! Der Hundsfott!
    »Ein eigener Wille ist ein kostbares Gut«, sagte Faustus, nickte mir anerkennend zu und ließ sich dann auf den nächstbesten Stuhl fallen. Das Holz knirschte nicht

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