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Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 02 - Der Traumvater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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einer brennbaren Flüssigkeit übergossen haben. Rauch und Gestank verschlugen mir den Atem.
    Die Gittertür war verschlossen. Ich wollte die Kette aus ihrer Verankerung an der Wand lösen, doch der Mörder hatte sie mit einem schweren Vorhängeschloß gesichert.
    Meine Lunge drohte auseinanderzuplatzen. Ich brauchte Luft, jetzt sofort. Nicholas war tot, ich konnte ihn ohnehin nicht mehr retten. In der Zelle war nichts als feuchter Stein; das Feuer würde nicht übergreifen und bald schon von alleine ausbrennen.
    Womit hätte ich es auch löschen sollen? Hier unten gab es nirgends Wasser.
    Ich hatte keine Wahl. Ich mußte atmen.
    Keuchend stürmte ich die Treppe hinauf, schleuderte dabei die Fackel zur Seite. Der Aufprall brachte sie gänzlich zum Verlöschen. Trotz aller Aufregung nahm ich mir die Zeit, eine neue aus einer der Wandhalterungen zu ziehen und am letzten Glimmen zu entzünden.
    Es war dunkel im Schloß, draußen herrschte tiefe Nacht. Der Rauch aus dem Keller stieg nach oben, quoll aber hinaus ins Erdgeschoß und von dort durch die zerschlagenen Fenster. Ich konnte nur abwarten, bis sich das Feuer legte.
    Faustus war noch nicht zurückgekehrt; gewiß wäre er gleich zu mir heruntergekommen, um nach dem Rechten zu sehen. Aber mir blieb keine Zeit, mich um ihn zu sorgen. Er würde wissen, was er tat.
    Ich erreichte den ersten Stock, verhielt dort meine Schritte und zwang mich zum Nachdenken. Ich lehnte mich an die Wand des Treppenhauses, an einer Stelle, wo ich sowohl den Gang als auch die Stufen im Blick hatte. Die Hitze der Fackel wehte über mein Gesicht. Ich hatte mit einem Mal entsetzlichen Durst. Oben in unserem Zimmer lagen noch zwei volle Schläuche, doch mein Gewissen wandte ein, daß es jetzt wahrlich Wichtigeres gab als Wasser.
    Wie konnte ich Angelina mitteilen, was vorgefallen war? Der einfachste Weg wäre der Gang durch Boschs Zimmer gewesen: Verzeiht, aber gestattet Ihr wohl ein kurzes Wort mit Eurem Spiegel? Nein, das war wahrlich kein guter Einfall.
    Blieb also nur der Geheimgang. Ich mußte ihn durch ein anderes Zimmer betreten und so zu Angelina stoßen.
    Ohne großes Zögern machte ich mich daran, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Einen der Spiegel zu zerbrechen war unzweifelhaft zu laut und hätte jedes lebende Wesen im Haus aufgeschreckt – wobei ich mich allmählich fragte, wieviele wir überhaupt noch waren. Fest stand: Bosch, Angelina und ich waren wohlauf. Wer blieb überhaupt noch als Mörder übrig, nun, da Nicholas tot war? Offenbar nur Gwen (zu ihr paßten die leichtfüßigen Schritte) und der verschwundene Braumeister, denn der Maler war für die Verfolgung im Keller viel zu alt.
    Den Traumvater selbst hatten wir zuletzt völlig aus der Reihe der Verdächtigen ausgeklammert, wohl weil Faustus ihn stets als Beobachter oder Mann im Hintergrund angesehen hatte, nicht aber als ausführendes Werkzeug. Mein Meister aber war fort, und die Morde gingen weiter. Ich kam daher nicht umhin, meinem eigenen Gespür zu vertrauen – und demnach war der Traumvater verdächtiger als jeder andere. Entweder er oder Gwen oder der dürre Adelfons, darauf lief es wohl hinaus.
    Weshalb aber hätte Gwen all die anderen töten sollen? Hoffnungen auf die Nachfolge des Traumvaters konnte sie sich nicht machen. Und ob der Vater wirklich durch seine Träume Einfluß auf jeden von uns nehmen konnte, hielt ich gleichfalls für zweifelhaft. Ich selbst hatte geträumt, offenbar als einer der wenigen, doch der Vater hatte mir diese Bilder nicht eingegeben. Sie machten keine Versprechungen und trieben mich nicht zum Mord. Vielleicht war es möglich, daß er seinen Schülern die Träume stahl und ihr Schlaf seit der Ankunft im Schloß einsam und leer war. Doch mußte das bedeuten, daß er sie zum Mord anstiften konnte? Langsam kamen mir selbst daran Zweifel.
    Überhaupt: Das ganze geheimnisvolle Gerede hing mir allmählich zum Halse heraus. Was, wenn es dem Mörder um etwas ganz und gar Weltliches ging? Etwas, das sich in Gold aufwiegen ließ? Ja, diese Vorstellung behagte mir schon besser, zumal sie mir vollkommen einleuchten mochte. Denn es gab einen solchen Wert im Schloß, falls ich den Worten meines Meisters glauben schenken durfte:
    Die Krone des Schlangenkönigs.
    Und mit dieser Erkenntnis klärte sich auch schlagartig mein Denken von allem überirdischen Geschwafel und falschem Hokuspokus.
    Dem Mörder ging es allein um Gold! Nicht um irgendwelche Traumgespinste oder magischen Mächte; allein der

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