Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)
Entdeckung: Der Husten war weg! Monate-, vielleicht sogar jahrelang hatte mich vor allem morgens ein böser Reizhusten gequält, den ich natürlich auf alles andere zurückführte (trockene Luft, zu wenig getrunken, eine kleine Erkältung) als auf den Umstand, dass ich viel zu viel rauchte und meine Lungen sich einfach gegen die tägliche Überforderung wehrten, und zwar mit einem heftigen Gebell wie gute Wachhunde, die etwas Bedrohliches wittern. Wie wohl ein Großteil meiner Raucherkollegen neigte auch ich dazu, mir das Problem schönzureden, und mied vor allem eines wie der Teufel das sprichwörtliche Weihwasser: Ärzte!
Da ich die ersten Tage meines neuen Lebens aber sehr intensiv mit dem Einholen von Information zum Thema verbracht hatte, konnte ich nun sofort eine präzise Diagnose stellen. Ziemlich beeindruckt musste ich zugeben, dass die Experten nicht lügen, wenn sie behaupten, unser Körper könne sich nach dem Verzicht auf das Rauchen erstaunlich rasch erholen und dass es daher nie zu spät sei, diesem Laster abzuschwören.
Wie immer, wenn mich eine Frage besonders beschäftigt, trat ich erst einmal vor den großen Garderobespiegel, den ich so hell beleuchten kann, dass er mir schonungslos sogar das allerletzte Geheimnis meines äußeren Erscheinungsbildes enthüllen muss. Und siehe da, ich entdeckte noch etwas: Mein zu dieser frühen Stunde noch völlig unbehandelter Teint sah jetzt schon so frisch und rosig aus, wie ich ihn früher nur unter Zuhilfenahme diverser Wundermittel aus der kosmetischen Zauberkiste hinbekommen hatte. Früher glich ich morgens, vor allem nach besonders langen, rauchgeschwängerten Nächten, weniger einer gesunden Frau meines Alters als einem abgestandenen Zombie in leblosem Einheitsgrau aus der hintersten Ecke der Geisterbahn.
Hocherfreut strich ich mir über die rosigen Wangen und beschloss spontan, das neue Leben unverfälscht, nur durch ein ganz dezentes Augen-Make-up unterstrichen, zur Schau zu tragen. Ich war ausgesprochen stolz auf meine Leistung.
Zehn Tage, sagte ich nachdenklich zu meinem Spiegelbild, immer noch staunend, aber auch erleichtert und irgendwie schon siegessicher. Es wird Zeit, meine Liebe, über eine passende Belohnung nachzudenken.
Du schaffst das! sagte das Spiegelbild bestimmt.
Klar, antwortete ich. Nie wieder Nikotin!
Die Sache mit der Belohnung
Eine angemessene Belohnung zu finden, gestaltete sich allerdings schwieriger als gedacht. Womit belohnt man jemanden, der sich jahrelang, ja sogar jahrzehntelang in jeder freien Minute, bei jeder Gelegenheit und unter immer größeren Opfern einen sonderbaren Fremdkörper in den Mund schiebt – in der einzigen Absicht, möglichst lang daran zu saugen? Womit tröstet man jemanden, der eine wesentliche Quelle seiner Lust plötzlich nicht mehr zur Hand hat?
Der Gedanke an einen Lolli drängte sich mir auf. Es muss ja nicht immer Tabak sein, vielleicht tut’s auch ein Schnullerersatz?! Ich verweilte noch ein wenig bei dieser Überlegung und dachte darüber nach, woran ich sonst noch saugen könnte, selbstverständlich mit vergleichbarem Lustgewinn und im allgemein üblichen moralischen Rahmen. Es fiel mir zwar nichts Passendes ein, dafür aber ein Zusammenhang auf, den ich bisher kaum beachtet hatte.
Mutter Natur hat es wahrlich gut mit uns gemeint, als sie alle Handlungen, die unser persönliches Überleben und das unserer Art sichern, mit so starken Lustgefühlen besetzte, dass wir erst gar nicht auf die Idee kommen können, nicht zu essen, nicht zu trinken oder nicht zu versuchen, uns fortzupflanzen. Hungrig nach immer neuen Reizen und triebgesteuert wie wir nun einmal sind, nutzen wir jede Gelegenheit zum Lustgewinn, und so haben sich die Raucher, neben dem Essen, ihre eigene Genusswelt erschlossen, die ebenfalls von oralen Reizen lebt.
Der große Kick des Rauchens liegt nicht nur darin, sich ein Genussmittel zuzuführen, er rührt vor allem daher, etwas im Mund zu haben, damit zu spielen und immer wieder die feinen Nerven der Lippen zu reizen, dieses hocherogene Areal.
Bei so viel Freude an der Lust verwundert es wenig, dass bereits Kinder, von denen es ja heißt, sie würden die Welt grundsätzlich lustvoll entdecken, erst einmal alles in den Mund stecken, was sie zu fassen bekommen. Fast beneidete ich sie. Die hatten es wirklich gut!
Da die beiden Genusswelten, das Essen und das Rauchen, aber nun einmal so nahe beisammen liegen, greifen wir statt zur Zigarette wohl instinktiv zu etwas
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