Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)
Phänomen: Sobald ein Raucher in ihre Nähe kommt, reagiert ihre empfindliche Nase mit heftiger Abwehr auf die Duftwolke, die dieser selbst dann verbreitet, wenn er gar nicht raucht. Die giftigen Reste seiner Leidenschaft hängen in den Haaren und in der Kleidung, in allem, was er bei sich trägt, und begleiten ihn auf Schritt und Tritt überallhin. Mit jeder neuen Zigarette frischt er seine Duftwolke auf und schiebt sie vor sich her wie eine unvermeidliche Aura.
Zwar machte es mir überhaupt nichts aus, mich im privaten Rahmen unter meine immer noch rauchenden Freunde oder Kollegen zu mengen – wohl um in diesem Umfeld meine neue Abgeklärtheit gegenüber der alten Leidenschaft so richtig zur Schau zu stellen und meine Motivation zum Durchhalten zu stärken – auf der Straße rümpfte ich aber unwillkürlich die Nase, wenn ich eine solche Aura witterte oder mir jemand entgegenkam, der gerade ganz zufällig und hoffentlich völlig unabsichtlich eine bläuliche Wolke in meine Richtung ausstieß. Wenn ich die Gefahr rechtzeitig erkannte, war ich jederzeit zu einem Umweg bereit, um mein in letzter Zeit so sensibles Riechorgan zu schonen.
Am meisten irritierte mich allerdings die Geruchsbelästigung, der ich in meinem schönen Zuhause immer noch ausgesetzt war. Vier Wochen nach meiner letzten Zigarette stank meine Wohnung wie eh und je, und meine alte Aura hing immer noch bei mir herum wie eine aufdringliche, längst lästig gewordene Freundin.
Dabei hatte ich wirklich alles getan, um die ärgsten Duftmarken zu beseitigen. Ich hatte die Vorhänge in die Reinigung gebracht, die Polstermöbel mit dem Staubsauger bearbeitet, bis der Stoff glühte, nahezu im Stundentakt die Waschmaschine aktiviert, einen Teil meiner Garderobe erneuert, trotz der Kälte stundenlang gelüftet und schließlich sogar einen Duftspray versprüht, was ich sofort heftig bereute, da mein Versuch, die Luftqualität zu verbessern, völlig fehlgeschlagen und zu dem ohnehin schon herrschenden Gestank bloß ein neuer hinzugekommen war.
Da konnte wohl nur eines helfen: Zeit. Nase zu und durch! Eines Tages würden die stinkenden Altlasten ganz von alleine verschwinden, irgendwo im Universum verglühen und mich nie mehr belästigen.
Gemischte Gefühle
Je länger ich dem Nikotin entsagte, je mehr ich am eigenen Leib erfuhr, wie schwer es fallweise sein kann, standhaft zu bleiben, desto häufiger erfüllte mich eine gewisse Sorge, die diffuse Angst vor einem Rückfall. Einer aktuellen Studie zufolge schafft es nur jeder Zehnte, so aufzuhören, wie ich es getan habe – ohne fremde Hilfe, ohne Therapie, ohne pharmazeutische Krücke, allein durch die mentale Kraft und den festen Vorsatz „Ich will!“. Nur jeder Zehnte … Das stimmte mich nachdenklich.
Im Freundeskreis fühlte ich mich nach wie vor vollkommen sicher, und auch in der Schule war die Versuchung gering, denn dort fand das lustvolle Treiben jetzt nur noch auf einem ewig zugigen Balkon und im Schulhof statt, worauf ich bei den gerade herrschenden winterlichen Temperaturen gut und gerne verzichten konnte. Außerdem waren hier ja die „Anderen“, die allesamt ausführlich informierten Anderen, meine Zeugen, mein Publikum, das mich vor einem Rückfall bewahren würde.
Nun mag Ehrgeiz im Allgemeinen nicht unbedingt als hochgeschätzter Charakterzug gelten, in diesem Fall war ich aber heilfroh über das stets in mir lauernde Bestreben, ein Vorhaben zum bestmöglichen Erfolg zu bringen. Vor allem im beruflichen Bereich, wenn es zum Beispiel darum geht, eine Maßnahme umzusetzen, von der ich überzeugt bin, kann ich mich schon mächtig ins Zeug legen und für die gute Sache kämpfen, bis sie ausgefochten ist. Dieser starke Wille, der garantiert Berge versetzt, kam mir auch jetzt zugute, denn es brauchte fallweise schon viel Kraft durchzuhalten und der allgegenwärtigen Versuchung zu trotzen.
Die größte Gefahr lauerte allerdings nicht draußen in der Welt, am Arbeitsplatz oder im gesellschaftlichen Leben, sondern erstaunlicherweise im Alleinsein zu Hause. Wenn jede Kontrolle wegfiel, ich mir selbst ausgeliefert war und es ein Leichtes gewesen wäre, in aller Ruhe und Abgeschiedenheit zu rauchen, um später, wieder in der Öffentlichkeit, das Gegenteil zu behaupten.
Früher hatte die Zigarette den Takt angegeben, meinen Tagesablauf strukturiert, von der berühmten ersten zum Kaffee bis zur letzten vor dem Schlafengehen. Immer wenn eine Tätigkeit abgeschlossen war und etwas Neues begann,
Weitere Kostenlose Bücher