Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)
Barockengel-Syndrom, denn ich hatte vor allem an der Taille und an den Hüften Speck angesetzt, während Arme und Beine schlank geblieben waren. Daher konnte ich den Schaden mittels wallender Accessoires noch einigermaßen kaschieren und meine neue Üppigkeit überspielen, die mich im Moment eigentlich überhaupt nicht störte, denn in mir war eine große Freude:
42 Tage ohne Rauch durfte ich mir bereits gutschreiben. 42 Tage! Das waren … 277 Euro und 20 Cent extra auf dem Konto – und es wurde stündlich mehr.
Wenn das kein Grund zum Jubeln war!
Hilfe, die Hose klemmt!
Nach dem weihnachtlichen Überangebot an Kalorienfallen aller Art konnte ich die Nebenwirkung meines Nikotinverzichts nicht länger verdrängen. Ich wurde in der Tat immer runder und meine prallen Formen ließen sich auch bei bestem Willen nicht mehr in meinen Lieblingskleidern der Konfektionsgröße 38 verstauen. Mein Spielraum reduzierte sich zusehends und mein Outfit begann an einer gewissen Monotonie zu leiden, denn fast täglich verabschiedete sich jetzt ein gutes Stück in die Zwangspause. Nur ein paar Tops, einige legere Pullover und ein, zwei Jacken spielten noch mit, aber was sollte ich dazu tragen? Ratlos stand ich in meiner übervollen Garderobe und ein Satz, vielmehr ein Gedanke holte mich ein: Ich habe nichts anzuziehen!
In meiner ganzen Zeit als Raucherin bewegte sich mein Gewicht in einem Bereich zwischen 57 und 59 Kilogramm, nie darüber, eher darunter, und in meiner schlanksten Zeit überhaupt brachte ich es gerade mal auf 50 Kilogramm bei einer Körpergröße von 167 Zentimetern. Das waren ideale Voraussetzungen, nicht nur für eine abwechslungsreiche Garderobe, denn ich konnte praktisch alles tragen, worauf ich gerade Lust hatte, sondern auch für ein ausgesprochen starkes Körpergefühl. Ich fühlte mich sehr wohl in diesem harmonischen Leib und verbrachte die Sommerferien jahrzehntelang mehr oder weniger im Bikini. Ich setzte mich der Sonne oder den Blicken der anderen aus, spazierte über warme Strände und genoss mein Dasein.
Nun sah die Lage nicht mehr so rosig aus. Ich fühlte fast, wie ich immer runder wurde, wagte aber vorerst nicht den Schritt auf die Waage. Gott sei Dank war Winter und so konnte ich vieles unter weicher, weiter, warmer Kleidung verbergen, so dass meine Veränderung kaum auffiel. Dafür begann mein Publikum jetzt, knapp zwei Monate nach meiner letzten Zigarette, allmählich Lob und Anerkennung zu spenden, was mich zwar sehr freute, aber nicht vom Umstand ablenken konnte, dass ich mich zunehmend unwohl fühlte. Das Hochgefühl, das mich in den letzten Wochen begleitet hatte, schwand. Ich gefiel mir ganz und gar nicht mehr, ich hatte plötzlich ein ästhetisches Problem mit meinem Spiegelbild, was mir psychisch ziemlich zusetzte.
Da ich nicht annehmen konnte, meine neuerdings so üppigen Rundungen würden sich in Kürze ganz von selbst wieder verflüchtigen, musste ich einen Notplan entwickeln, vielleicht sogar einen Notkauf riskieren, quasi als Überbrückungshilfe für meinen aus der Fassung geratenen Leib.
Meiner Lieblingsboutique einen Besuch abzustatten, zog ich erst gar nicht in Erwägung, denn dort reichte die Pracht des Angebots bloß bis Größe 40/42, und die, fürchtete ich, passte mir auch nicht mehr. Was ich jetzt brauchte, war ein großes, seriöses Modehaus, das für jeden Frauenkörper das Passende auf Lager hat und jede anatomische Unebenheit im Nu korrigieren kann. Da mir der Speck in weicher Gleichmäßigkeit vor allem um Taille und Hüften lag, würde ich mich wohl in der Abteilung für die reife, die mollig-dynamische, die weibliche Frau oder so ähnlich umsehen müssen.
Ich staunte nicht schlecht über das reichhaltige Angebot und wurde auch bald fündig, nachdem ich einer sehr sympathischen Verkäuferin mein vorübergehendes Problem geschildert hatte. Zielsicher führte sie mich zu einer ganzen Reihe dichtbehängter Kleiderständer und erklärte mir, was ich jetzt brauche, wäre ein teilelastischer Bund. Mir fiel auf, dass sie das Wörtchen „vorübergehend“, das ich ganz locker in meine Rede eingestreut hatte, diskret ignorierte. Das schmerzte mich ein wenig, aber die Dame schien Erfahrung zu haben, denn nach einem kurzen Blick auf meine Taille bot sie mir zwei Hosen, einen Rock und eine Jacke an, die allesamt ziemlich modisch wirkten und die ich nach einer kurzen Anprobe erleichtert kaufte. Damit und mit meinen zu Hause lagernden Restbeständen kam ich garantiert durch
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