Die neue Lust am Essen: Vom Laster Nikotin und Fastlife zu Lebensgenuss und Slow Food (German Edition)
in Wirklichkeit ist es aber ein Riesenschritt in eine wieder lebenswerte Zukunft.
Wir müssen wegkommen von Agrarfabriken, Massentierhaltung, Monokulturen, Pestiziden, gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln, dem ganzen globalen Horror – hin zur Bewahrung regionaler Spezialitäten, des Bodenständigen, und zur Förderung der lokalen Vielfalt in kleinen, überschaubaren Einheiten. Wenn möglichst viele sich aus dem regionalen Raum versorgen, wird Massenproduktion irgendwann unrentabel. Dafür belebt sich der lokale Markt, traditionelles Handwerk kehrt in die Produktion zurück und damit auch eine neue Effizienz, eine neue Geruhsamkeit, Sinnlichkeit, und vor allem Geschmack, Aroma, Duft und Qualität.
Die Philosophie des Genusses und ein langsamerer Lebensstil gegen den universellen Tempowahnsinn, das Fast-Life – das klingt wie ein Traum von einer heilen Welt und ist doch ein ganz realer, im Grunde radikaler Ansatz für ein tragfähiges Zukunftskonzept.
Signore, ich bin restlos überzeugt.
Nachhaltig entschleunigt
Die Botschaft war also angekommen, Petrinis Ideen auf fruchtbaren Boden gefallen. Auf der Suche nach Ersatz für mein so lange und so sehr geliebtes Nikotin hatte ich dankbar alles aufgesaugt, was mir den Verzicht schmackhaft machen und neue Genusswelten erschließen konnte, und je näher der Jahrestag meines Ausstiegs aus der Raucherszene rückte, desto häufiger drängte es mich, zurückzuschauen und Bilanz zu ziehen über ein Jahr, das ereignisreicher wohl kaum hätte verlaufen können.
Die Einkäufe auf dem Bauernmarkt, die Entdeckung des Gartens als Nahversorger, das saisonale Konzept, der Verzicht auf immer Verfügbares zugunsten eines größeren Genusses, die Besinnung auf das Einfache, das Unverfälschte, ein bewusstes, lustvolles Essen statt einer achtlosen Ernährung und unüberlegten Spontankäufen irgendwelcher Sonderangebote …
Es war nicht mehr viel da von meinem alten Leben. Die kleine rote Schnecke hatte ganze Arbeit geleistet. In meiner Slow World war kaum ein Stein auf dem anderen geblieben, ja es hatte sich sogar eine veritable Revolution ereignet, obwohl nach außen hin alle Zeichen auf Rückschritt standen. Aber das ist gerade das Überraschende an Petrinis Konzept. Seine Avantgarde besteht nicht aus schwärmerischen, realitätsfernen Träumern, die mit nostalgischem Eifer überkommenes Gedankengut tradieren, sondern aus starken, kompromisslosen Pionieren einer grundlegenden Erneuerung.
Der Raubbau an der Natur und die Umweltschäden in der globalisierten Welt zeigen die Grenzen der Marktwirtschaft auf und zwingen zum Umdenken und Handeln. Die Wiederentdeckung der Langsamkeit, die Entschleunigung und der Weg zurück zu den Wurzeln eröffnen Perspektiven, die man in der Eile nicht sieht.
Wenn der Lebensstil vom Bazillus des Genusses geprägt wird, kehren Freude und Lust selbst in die einfachsten täglichen Verrichtungen ein und erst recht in so wichtige Vorgänge wie Einkaufen, Kochen und Essen. Qualität verdrängt das Tempo, Genuss die Gier. Durch den Verzicht auf Überflüssiges bekommt das Wesentliche seinen zentralen Stellenwert zurück, und Zeit ist dennoch in Fülle vorhanden, riskiert man doch jetzt nicht mehr, sie im Sog des Fast-Life gedankenlos zu verschwenden.
Was für ein Jahr!
Und dann stand ich also wieder vor dem großen Garderobespiegel, wo alles begonnen hatte. Der Tag der Abrechnung war gekommen. Ein Jahr war um, ein ganzes Jahr, vergangen wie im Nu und ganz ohne Rauch.
Mein erstes Jahr ohne Nikotin!
Ich hatte die Wette gewonnen, die Sucht überwunden, ein neues Lebensgefühl entwickelt und dem Barockengel gehörig zugesetzt. Mein Spiegelbild strahlte mir entgegen. Was für ein Jahr!
Gerührt blätterte ich in meinem Erfolgsprotokoll.
Nicht geraucht seit … stand da am Anfang und dann Datum und Uhrzeit: 12. November 2003, 15 Uhr 30. Im Zehn-Tage-Takt folgten die Eintragungen auf dem Belohnungskonto, die letzte vor einer Woche. Eine kleine Rechnung noch, dann notierte ich beeindruckt das Ergebnis: 2422,20 Euro! Hochzufrieden umrandete ich die Summe mit kräftigen Strichen und legte das Büchlein beiseite.
Staunen mischte sich in meine Freude, und ich wäre im Moment unfähig gewesen zu sagen, was letztlich den Ausschlag gegeben hatte, dass das Vorhaben gelang.
Vielleicht war’s der Ehrgeiz gewesen, der starke Wille, es zu schaffen, vielleicht das stets aufmerksame Publikum, die Zauberformel oder die Angst, krank zu werden, die Alpträume, der
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