Die Niete Im Bett
stößt die Tür auf. Natürlich starren alle sofort in unsere Richtung, und ich laufe rot an, was mir zum letzten Mal vor ewigen Zeiten passiert ist. Genauer gesagt an dem denkwürdigen Tag, an dem ich Vanessa geschenkt bekommen habe, also ist es wohl doch noch keine Ewigkeit her.
Aber auf Mia ist wie immer Verlass. »Hallo«, sagt sie selbstbewusst und nickt freundlich in die Runde. Ich nuschle ebenfalls »Hallo«, dann setzen wir uns auf die verbliebenen zwei Stühle. Offenbar sind wir die Letzten. Eine unangenehme Pause entsteht, und ich schaue mir unauffällig die Teilnehmer an. Eigentlich sehen sie ganz normal aus. Aber wir sehen ja auch ganz normal aus. Wer kann schon in das Innere eines Menschen blicken? Jeder hat doch seine Probleme und muss versuchen, sie in den Griff …
»Guten Abend zusammen!« Ein junger, blonder Mann, der auch noch ziemlich gut aussieht, betritt eine Art Podest an der Stirnseite des Raums. Typ Manager. Er ist leger gekleidet, aber die Jeans und der Pullover sind teuer gewesen, ich erkenne so was sofort.
»Ich bin Mr. Orgasmic, und ich freue mich, dass Sie alle hier sind«, beginnt er. »Am besten, wir fangen mit einer kleinen Vorstellungsrunde an. Wenn Sie also bitte alle nacheinander aufstehen und Ihren Namen sagen würden. Der Vorname genügt.«
Mia steht auf und will etwas sagen, da macht Mr. Orgasmic plötzlich große Augen und kommt näher. Mia weicht ein Stück zurück und stößt gegen ihren Klappstuhl.
»Nein! Das glaube ich ja jetzt nicht!«, ruft unser Sex-Guru und sieht aus, als hätte er einen Geist gesehen.
Mia
Ich bin in der Tat irritiert. Was will der Mann von mir? Oder gehört das zum Seminar? Ist das irgendeine Schocktherapie oder so?
»Jetzt sag bitte nicht, dass du mich nicht erkennst.« Mr. Orgasmic lacht auf, während er mich an den Schultern packt und an seine – zugegebenermaßen breite − Brust zieht.
»Äh«, stottere ich und versuche, mich aus seinem Griff zu befreien. »Ich weiß wirklich nicht …«
»Ich sag nur: Wasserbombe«, ruft der Blondschopf und hält mich weiterhin fest umklammert. »Klingelt’s jetzt?«
Ich brauche ein paar Sekunden, um zu begreifen, was Mr. Orgasmic da gerade gesagt hat. Dann reiße ich ungläubig die Augen auf. »Mark! Das gibt es nicht. Bist du es wirklich?«
Jetzt umschlingt er mich noch fester, hebt mich einfach hoch und wirbelt mich einmal im Kreis herum. »Klar bin ich’s. Mensch, Mia, das ist ja Ewigkeiten her!« Er lässt mich wieder auf den Boden herunter, ich taumele kurz und muss mich an dem Stuhl hinter mir festhalten. Mark! Das gibt’s ja gar nicht, ich bin vollkommen fassungslos. Und im nächsten Moment weicht die Fassungslosigkeit kindlicher Freude. Mark! Ach, ist das schön!
Mark und ich haben vor Urzeiten im selben Haus gewohnt, da waren wir noch klein. Wir kommen beide aus Hessen, genauer gesagt aus Oberursel, und dort gibt es nur ein riesiges Hochhaus mit dreizehn Stockwerken. Ich hab im fünften und Mark im achten Stock gewohnt. Also natürlich mit unseren Eltern. Beide Familien hatten Wohnungen auf der linken Seite, und so kam es, dass Mark mir eines Tages − wir waren gerade neu eingezogen, und ich stand auf dem Balkon und schaute übers Geländer in die Tiefe − eine Wasserbombe aus dem achten Stock auf den Schädel knallen ließ. Die Bombe war eigentlich nicht für mich bestimmt gewesen, sondern für Jockel und Timmi, die beide unten vorm Haus spielten, aber sie hatte nun mal mich getroffen.
Ich war natürlich stinksauer und habe Mark beschimpft wie ein Rohrspatz, aber er hat nur gelacht, und später haben wir uns unten auf dem Spielplatz getroffen und mit den anderen Fangen gespielt, und schon war alles vergessen. Mark hatte noch gemeint, das sei ein würdiger und tapferer Einstieg für mich in die kindliche Hausgemeinschaft gewesen.
Und so fing unsere Freundschaft an. Mark ist zwei Jahre älter als ich und hat fortan auf mich aufgepasst wie der große Bruder, den ich ja nie hatte, weil ich ein Einzelkind bin. Wir gingen auf dieselbe Schule, aber logischerweise in verschiedene Klassen. Mark half mir in Bio, ich ihm in Deutsch. Wir waren gemeinsam in der Jugendgruppe der Christuskirche und später Betreuer bei Konfirmandenfreizeiten, die uns in so komische Orte wie Kastellaun oder Waldfriede führten.
Wir hatten beide feste Freunde und Freundinnen, die der andere ganz okay fand, aber am liebsten waren wir zusammen allein, schauten fern, weinten gemeinsam bei Kitschfilmen oder fuhren
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