Die Nirgendwojagd
Lagers beschäftigt. Sie kroch über moosglitschigen Fels auf ein Plateau hinauf und schob den Kopf vorsichtig über die Oberkante.
Durch die über die steinige Lichtung gewehten, dichter und dunkler werdenden Nebelfahnen hindurch sah sie zu, wie sich der große Dämon von einem Punkt zum anderen bewegte. Gedankenverloren rollte sie sich zusammen, kratzte hin und wieder an den kleinen, jukkenden Schnitten an ihren Knöcheln und beobachtete, wie die Dämonen aus dem Ei Erd- und Steindämme aufschütteten, beobachtete, wie die Nafa und das Feuerhaar miteinander redeten, stritten, wie sie glaubte, beobachtete, wie sich das Feuerhaar losriß und anfing, die dickhäutigen Eier auf dem langen, rollenden Ding zu durchwühlen, beobachtete, wie der Himmelstöter brüllend auf sie zurannte.
Als die Nebelländer aus den Nebeln tauchten und angriffen, duckte sie sich tiefer auf den Felsen und sah mit einem Hauch von Qual, wie der Mörder ihres Bruder unter dem Keulenhieb eines Nebelländers zusammenbrach. Sie preßte die Hand auf den Mund, die Zähne schlugen auf ihrem Zeigefinger zusammen, hielten den Schmerz zurück, als die Bestien den Körper des Himmelstöters aufhoben und davontrabten, gefolgt von anderen, die das Feuerhaar trugen. Der Kampf brach ab, und alle Nebelländer verschmolzen mit der Finsternis.
In dem verwüsteten Lager krochen die Überlebenden aus ihren Verstecken, standen auf, blickten sich mit einer betäubten Ungläubigkeit um. Tote Dämonen lagen wie abgeworfene Hülsen zu ihren Füßen. Die Nafa ging langsam von einem der Toten zum anderen, starrte sie an, berührte sie. Alle Dämonen vom Hause der Nafa, alle Himmelstöter bis auf den einen, von den Nebelländern davongetragenen, waren tot. Die kleineren Dämonen aus dem Ei kauerten zwischen ihren Toten, vielen Toten, mehr als die Hälfte. Die größeren Dämonen, die in der Nähe des langen, rollenden Etwas blieben, hielten die spuckenden Stöcke der Himmelstöter in den Händen. Roha schnüffelte in die Brise und glaubte riechen zu können, wie Stolz und Kraft aus ihnen hervorwallten. Wieder kratzte sie an ihrem Knöchel und beobachtete weiter - die Nafa ging auf die anderen zu und gab ihnen Zeichen. Wenn jetzt Churr und die Krieger hier wären, dachte Roha, dann könnten sie alle Dämonen töten. Und die Mutter Erde wäre frei und geheilt. Und alles könnte wieder sein wie zuvor. Sie schloß die Augen und biß sich auf den Zeigefinger, um das Jammern des Verlangens und des Kummers zu ersticken, das in ihrer Kehle anschwoll. Immer wieder schluckend, stieg sie geschmeidig den Felsen hinunter, ohne darauf zu achten, daß ihr Lendenschurz zerriß und von dem glatten, grünen Moos befleckt wurde, ohne darauf zu achten, daß der Schleim in langen, ungleichmäßigen Streifen auf ihrer Haut kleben blieb. Sie konnte es nicht ertragen, die Dämonen noch länger anzusehen.
Auf dem Boden angekommen, blieb sie stehen, wischte sich den Körper ab und überlegte, was sie jetzt tun sollte. Der Hunger war ein Schmerz in ihrem Bauch, aber sie fühlte sich elender, wenn sie nur daran dachte, zu Churr zurückzugehen. Sie streichelte mit den Fingern über den lederumwickelten Knochengriff ihres Messers und dachte an den Himmelstöter. Ich werde ihn töten, nahm sie sich vor.
Churr ist unwichtig. Ich werde ihn töten. Dies war ein völlig neuer Gedanke und erschreckte sie ein wenig. Kämpfen und Töten war Männersache … Sie schloß die Finger fest um den Griff, zitterte unter einer furchtsamen Erregung, als sie in Gedanken ta-buisierten Boden betrat. „Ich werde ihn töten”, sagte sie laut. Diese Worte auszusprechen, machte den Gedanken real, er war kein Fiebertraum. Sie umrundete die Lichtung, witterte, suchte nach dem weiterhin vorhandenen Gestank der Nebelländer und wieder holte im Flüsterton immer wieder: „Ich werde ihn töten, ich werde es tun, ich werde es tun … ich wede es tun …”
Eine Bahn festgestampfter Erde kennzeichnete ihren Weg, so leicht zu verfolgen wie ein ausgetrocknetes Bachbett. Sie rannte auf dieser Fährte entlang, voller Eifer, den Mörder ihres Bruders zu finden, das Blut pochte in ihren Ohren, und die Worte hämmer- ten weiterhin in ihrem Geist, obwohl sie sie nicht mehr aussprach: Ich werde ihn töten. Mein Bruder, ich schicke dir seinen Geist.
Der Nebel um sie her verdunkelte sich. Sie wurde langsamer, trabte dahin, vornübergeneigt, damit sie ihre Spuren sehen konnte, wurde noch langsamer und ging schließlich in die Hocke.
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