Die Nomadengott-Saga 02 - Die Irrfahrer
Genauso, wie er Götteransammlungen mied. Seit seiner Ermordung durch Seth litt er nämlich an Depressionen und zeigte sich nur noch in Mumienbinden gewandet. Außerdem umgab er sich mit einem schwachen, morbiden bläulichen Schein und verbrachte die meiste Zeit philosophierend in einer Höhle unter der großen Pyramide von Gizeh.
Anubis beschloss, sein Fest trotzdem zu genießen, und begrüßte überschwänglich seine Gäste. Voller Stolz präsentierte er ihnen das Badehaus und seine Vorzüge. Da gab es Warmwasserbecken und Kaltwasserbecken, Becken mit sprudelndem Wasser und mit aromatisch duftendem Wasser, Räume mit heißem Dampf und andere mit Massagebänken aus feinstem Marmor.
Überall luden Ruhezonen zum Entspannen ein, und in Nischen versteckte Uschebti warteten darauf, den Gästen Handtücher oder Erfrischungen zu reichen. Aram dirigierte souverän, aber unsichtbar im Hintergrund seine Mannschaft.
Dann kam der große Augenblick, die Becken sollten eingeweiht werden. Isis hielt eine kleine Rede; sie lobte das Engagement von Anubis für das Allgemeinwohl der Götter, und die Menge applaudierte, sofern sie über Hände verfügte. Tiergestaltige Gottheiten, wie der Stier Apis, stampften mit den Hufen, oder sie schlugen mit den Flügeln. Der Gott der Gelehrsamkeit Thot hatte es wie meist vorgezogen, in zweifacher Gestalt anwesend zu sein – zum einen als Mensch mit Ibiskopf, zum anderen als Pavian. So konnte er sicher sein, wenigstens einen vernünftigen Gesprächspartner zu haben.
Suchos, der sich vom zeitweiligen Verlust seines Ankhs inzwischen gut erholt hatte, war in seiner rein animalischen Krokodilform erschienen, damit er das Wasser ganzkörperlich genießen konnte.
Um Eifersüchteleien zu vermeiden, wurde ausgelost, wem die Ehre zuteil wurde, das große Hauptbecken einzuweihen. Die beiden Lose fielen auf die Fruchtbarkeitsgöttin Hathor, die zu diesem Anlass ihre Menschengestalt angenommen hatte, und auf den falkenköpfigen Horus, Sohn der Isis und des Osiris.
Hathor, sich ihrer blendenden Schönheit und Attraktivität voll bewusst, ließ sich lasziv ins Becken gleiten, Horus folgte ihr etwas steif, aufrecht schreitend, über Treppenstufen ins Wasser. Gerade als Anubis das Becken für alle freigeben wollte, geschah etwas Unfassbares. Hathor und Horus blickten verwirrt um sich, so als ob sie nicht ganz bei Sinnen wären, und einen Lidschlag später entschwanden die beiden vor den Augen des irritierten Publikums. Von einem Augenblick zum anderen lösten sie sich im Wasser auf.
Ein Schrei des Entsetzens aus allen Kehlen ließ das Badehaus erzittern. Und dann riefen, brüllten, plapperten und kreischten sämtliche Münder, Mäuler, Rachen, Schlunde und Schnäbel durcheinander.
Schließlich gebot Isis mit einer herrischen Geste allen zu schweigen. Hapi, der androgyne Geist des Nils, kniete am Beckenrand und beugte sich hinunter, um vielleicht eine Spur der beiden zu finden. Dabei berührten seine schweren Brüste fast das Wasser. Mit der Nase und herausgestreckter, pendelnder Zunge sondierte er den Geruch des Wassers. Nach dieser Prüfung fragte Hapi besorgt: »Anubis, woher kommt dieses Wasser?«
Anubis war ratlos und schickte nach Aram, der sich, bescheiden wie er war, in einen der verborgenen Versorgungsgänge zurückgezogen hatte. Der schakalköpfige Duamutef, ein Sohn des Horus, brachte schließlich den Bademeister herbei.
»Woher stammt das Wasser für dieses Bad?«, wollte Anubis drohend wissen.
»Es ist ganz frisch, o Herr. Ich habe es von dem klaren Fluss hinter dem Palast von Month abgeleitet.«
Month, der Kriegsgott, erschrak. Die anderen Götter sahen ihn fragend an. Als er sich gefasst hatte, begann er zu erklären: »Der Fluss hinter meinem Haus ist meine neueste Errungenschaft. Ich brachte die Idee dafür von einer Reise in den Norden mit. Im Jenseits der Achäer, dem Hades, gibt es einen Fluss des Vergessens, Lethe genannt. Ich dachte mir, dass ich als Kriegsgott schließlich die Verantwortung für den Gemütszustand der gefallenen Krieger habe. Es wäre doch gut für uns, wenn sie durch ein Bad in meinem neuen Fluss ihre traumatischen Erlebnisse vergessen könnten. Einfach vergessen, wie schmerzvoll sie starben und wie grausam sie einst agierten. Damit sie danach als unbelastete, gute, zufriedene Uschebti für uns arbeiten. Es gibt nichts Schlimmeres als grüblerisches Personal.«
»Gute Idee«, sagte Thot anerkennend. »Aber was ist schiefgegangen? Warum haben sich Hathor und
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