Die Nonne mit dem Schwert (German Edition)
davonlaufen, aber da wurde sie so fest am Arm gepackt, dass sie aufschrie.
»Halt ihn fest, Aitor«, riefen die umstehenden Jungs schadenfroh.
»Hältst dich wohl für mächtig wichtig, Bürschchen!« Grinsend zog Aitor an ihrem Wams und trat ihr auf die frisch geputzten Schuhe. »Schöne Sachen, wirklich schöne Sachen. Wäre zu schade, wenn sie kaputtgingen.«
»Der Doktor, bei dem ich arbeite, ist ein einflussreicher Mann«, giftete Catalina. »Wirst schon sehen, was der mit dir macht, wenn du mich nicht augenblicklich weitergehen lässt.«
Aitor lachte. »Dein Doktor kehrt sich einen Scheißdreck um dich, wenn du das erste Mal mit zerrissenen Sachen heimkommst.«
Er riss einen der Knöpfe ihres Wamses ab und ließ ihn mit provozierendem Lächeln in eine Pfütze fallen.
»Was willst du von mir?«, keuchte Catalina und sah ihm zum ersten Mal voll ins Gesicht. Sie schätzte, dass er höchstens ein, zwei Jahre älter war als sie, obwohl seine Gesichtszüge schon die Härte eines Erwachsenen angenommen hatten. Sein Mund war schmal und seine Nase am Nasenrücken so breit, als hätte sie schon so manchen Faustschlag erhalten. Am unangenehmsten fand sie seine Augen: Kalt und dumpf starrten sie auf sie herab.
»Was ich von dir will?« Sein rechter Mundwinkel hob sich. »Ich sehe, allmählich verstehen wir uns.«
»Aber ich besitze doch nur, was ich auf dem Leib trage.«
Er drehte am nächsten Knopf. Catalina hielt seine Hand fest. »Was willst du?«
Da bemerkte er den Brief, den sie in der anderen Hand hielt, und nahm ihn ihr weg. Entsetzt versuchte Catalina, ihn sich zurückzuholen. Er hielt den Brief hoch über sich.
»Na los, spring, spring!«, amüsierte er sich.
Wutentbrannt rammte Catalina ihm den Ellenbogen in den Magen. Augenblicklich schnellte seine Faust vor. Catalina duckte sich gerade noch rechtzeitig. Mit einem wütenden Aufschrei warf er sich auf sie und begrub sie unter sich. Catalina ächzte und hatte das Gefühl, ihr Brustkorb zerberste, dann aber bekam sie wieder Luft, konnte ihren rechten Arm unter ihm herausziehen und fuhr ihm mit allen fünf Fingernägeln durchs Gesicht. Fluchend wich er zurück. Schnell rollte Catalina zur Seite und schob sich nach hinten, bis sie gegen ein paar Steine stieß. Da stürzte der Kerl schon wieder auf sie zu. In panischem Schrecken packte Catalina einen der Steine und warf ihn ihm entgegen. Sie traf ihn am Jochbein. Er sah sie verwundert an und ging zu Boden. Erschrocken machten sich die anderen Jungen aus dem Staub.
Ungläubig krabbelte Catalina zu dem gefällten Kerl und besah sich die heftig blutende Wunde. Schwester Euralia, ich muss Schwester Euralia holen!, schoss es ihr durch den Kopf, doch dann fiel ihr ein, dass das unmöglich war – und als Nächstes sah sie die Leute. Von allen Seiten kamen sie auf sie zu: Dienstmädchen und Händler, Boten und Waschfrauen, ein feiner Herr und seine Dame … Immer enger wurde der Kreis, den sie um sie bildeten. Einige zeterten, andere schrien, keiften, klagten. Catalina bekam es so sehr mit der Angst zu tun, dass sie zunächst keines der Worte begriff, die wie Peitschenhiebe auf sie niedergingen, doch dann vereinten sich die Stimmen immer mehr, und schließlich verstand sie, was sie riefen: »Er hat den Jungen erschlagen! Er hat ihn umgebracht! Mörder! Mörder! Er hat ihn erschlagen!«
In Catalinas Kopf begann sich alles zu drehen. Mörder. Sie? Sie blickte auf ihre Hände, sah das Blut, das an ihnen klebte, fühlte, wie ihr immer heißer wurde, und versuchte, sich daran zu erinnern, was Schwester Euralia ihr über die Versorgung von Kopfverletzungen beigebracht hatte, als auf einmal noch ein anderer Ruf erschall.
»Den Corregidor, ja, holt denn niemand den Corregidor? «
Den Stadtrichter. Sie wollten den Stadtrichter holen. Catalina hob den Blick, suchte Hilfe und Verständnis, doch in den Gesichtern der Menschen stand nichts als wütende Aufgebrachtheit.
»Der Junge hat ihn umgebracht! An den Galgen mit ihm, an den Galgen!«, forderten immer mehr Leute. Und schließlich riss sie tatsächlich jemand hoch und stieß sie voran. Mit Schreien, Hieben und Knuffen trieb man sie zur Plaza de la Virgen Blanca. Von dem Lärm aufgestört trat der Gefängniswärter vor die Tür. Er kaute an seinem Frühstücksbrot und hatte sichtlich keine Lust, sich länger als nötig mit dem Spektakel hier draußen zu beschäftigen. Ohne große Worte zu machen nahm er Catalina von den Männern entgegen, brachte sie in sein Büro,
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