Die Nonne mit dem Schwert (German Edition)
zu ihm auf.
»Aber der Junge, der Junge …«
Mikel zog sie auf die Füße.
»Du hast doch gehört, was Jeronimo gesagt hat!«, sagte er mit eindringlicher Stimme. »Noch einmal schließt er die Scheißtür hier diese Woche nicht auf!«
Verwirrt stolperte Catalina hinter Mikel her.
Erst als sie die Plaza de la Virgen Blanca ein gutes Stück hinter sich gelassen hatten, blieb Mikel stehen.
»Meine Herren«, fuhr er sie ärgerlich an, »du bist ja noch dämlicher als der Knirps, der mich da reingebracht hat. Wenn du aus dem Gefängnis entlassen wirst, dann fragst du doch nicht lange, sondern siehst zu, dass du deinen Hintern rausschiebst!«
»Aber der Junge!«, fing sie wieder an. Mikel verdrehte die Augen und sah ihr ins Gesicht. Das strahlende Grün seiner Augen und die langen Wimpern brachten Catalina kurz aus dem Konzept. Doch der tote Junge ging ihr nicht aus dem Kopf.
»Wenn sie doch alle sagen, dass ich ihn …«
»Das wirst du schon nicht! Und was war das überhaupt für ein Junge? Einer wie wir von der Straße? Die kriegt man so leicht nicht kaputt, und selbst wenn: Was zählt das Leben von unsereinem für die da oben!« Mikel sah sie an und stutzte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass ihre Kleider zwar ebenso vor Schmutz starrten wie seine, ihr gefüttertes Wams, die gut geschnittene Hosen und die festen Schuhe aber von einigem mehr an Zuwendung zeugten, als er seit langem erfahren hatte.
»Du bist ja gar keiner von uns!«
»Natürlich bin ich einer von euch«, stotterte Catalina, doch Mikel hatte sich seine Meinung schon gebildet. In seine Augen trat Bitterkeit.
»Deswegen also haben sie dich laufen lassen«, brummte er, drehte sich um und marschierte davon.
Catalina hätte heulen mögen, als Mikel sie einfach stehen ließ. Und wie abschätzig er sie angesehen hatte, als sei sie Abschaum! Sie stampfte mit dem Fuß auf. Wenn überhaupt, dann gehörte er zum Abschaum dieser Stadt! Schließlich hatte er keinen Herrn, sie aber schon, und wahrscheinlich hatte sie ihre Freilassung tatsächlich allein seinen Verbindungen zu verdanken. Er mochte sie eben. Und deswegen brauchte sie auch keinen dahergelaufenen Straßenjungen, so verheißungsvoll grün seine Augen auch waren!
Catalina blickte sich um, hatte dann ihre Orientierung wiedergefunden und schlug den kürzesten Weg nach Hause ein.
Als der Hausbursche die doppelflügelige Haustür öffnete, nickte Catalina ihm kurz zu und strebte gleich weiter zum Arbeitszimmer des Doktors, doch der Bursche verstellte ihr mit grimmigem Blick den Weg.
»Was soll das?«, empörte sich Catalina. »Ich will mich doch nur beim Doktor bedanken.«
Statt etwas zu erwidern, streckte der Bursche ihr die geöffnete Hand hin. Catalina fasste an die Brusttasche ihres Wamses; man hörte ein Knistern.
»Keine Sorge!« Sie grinste den Burschen an. »Ehe der Mob mich zum Gefängnis gebracht hat, habe ich dem Kerl den Brief wieder abnehmen können.«
Der Doktor trat aus seinem Arbeitszimmer. Catalina schlüpfte an dem Burschen vorbei und ergriff die Hand des Doktors.
»Ach Doktor, ich … Ich weiß gar nicht, wie ich das wiedergutmachen soll! Ich bin Euch ja so dankbar, dass Ihr mich da rausgeholt habt!«
Angewidert schüttelte der Doktor ihre Hand ab.
»Den Brief!«, rief er heiser.
Catalina starrte ihn an.
»Den Brief!«, forderte er noch einmal.
Catalina schob ihre Hand in die Brusttasche und zog den Brief heraus. Als sie sah, wie lehmverschmiert er war, rieb sie ihn über ihr Wams, um ihn zu säubern.
Sie erzählte dem Doktor, mit welchem Einsatz sie ihn verteidigt hatte, doch statt ihr zuzuhören, machte er seinem Hausburschen ein Zeichen. Mit spitzen Fingern nahm der Bursche Catalina den Brief ab und reichte ihn dem Doktor.
»Lass dich nur ja nie wieder hier blicken!«, knurrte der Doktor Catalina an.
»Aber ich …«
Der Doktor ging zurück in sein Arbeitszimmer und drückte die Tür hinter sich ins Schloss.
»Aber ich habe das doch nicht gewollt!«, rief Catalina mit erstickter Stimme. Als sich die Tür nicht wieder öffnete, wandte sie sich an den Hausburschen. »Ich wollte das nicht, wirklich nicht. Und ich kann auch gar nichts dafür!«
Ungerührt öffnete der Bursche die Haustür, und Catalina sah ihm an, dass es nur das Unbehagen war, ihre schmutzigen Kleider zu berühren, das ihn davon abhielt, sie eigenhändig vor die Tür zu setzen. Betroffen senkte sie den Kopf und ging.
6
B is zum Abend war Catalina in jeder Häusergasse Vitorias mindestens
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