Die Nonne mit dem Schwert (German Edition)
Stadttor. Sie lehnte sich an eine Hauswand und wollte sich in einem geeigneten Moment im Sichtschutz einer Kutsche an den Torwächtern vorbeistehlen, aber dann bemerkte sie einer der Männer und machte seinen Kollegen mit aufgeregten Gesten auf sie aufmerksam. Catalina ahnte, dass sie schon erwartet wurde, als ehemaliger Bürgermeister dieser Stadt verfügte ihr Vater schließlich über beste Verbindungen.
Noch ehe die Torwächter den Büttel herbeigerufen hatten, war Catalina wieder im Gassengewirr verschwunden. Sie ging jetzt langsamer, da sie nicht die Aufmerksamkeit der Leute auf sich ziehen, ein Junge von vielen sein wollte …
Ein Junge von vielen … Je länger Catalina lief, desto heftiger hallten diese Worte in ihr wider. Ihr wurde bewusst, dass ihre Chance, je wieder Catalina sein zu dürfen, nach der Reaktion ihres Vaters kleiner denn je geworden war.
»Das ist nicht gerecht, verdammt, das ist einfach nicht gerecht!«, zischte sie zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. »Soll ich denn mein ganzes Leben lang immer weglaufen müssen, nur weil ich keine Nonne werden wollte?«
Ihr kamen die Worte ihres Vaters in den Sinn: Zusammengebrochen sei ihre Mutter, als sie die Nachrichten aus dem Kloster erhalten hatte … Durfte Catalina daraus nicht schließen, dass ihre Mutter sie trotz allem noch liebte? Catalina biss sich auf die Lippen. Da erklang Kirchengeläut. Es rief zur Messe und kam ganz aus der Nähe … Die Messe! Catalina schlug sich gegen die Stirn. Nirgends sonst konnte sie ihre Mutter gefahrloser treffen als in der Kirche! Schnell lief Catalina weiter.
Es war nicht mehr weit bis zur Kirche San Vincente, der bevorzugten Kirche ihrer Mutter. Als sie den großen Vorplatz erreichte, strömten gerade die ersten Kirchgänger herbei. Die meisten waren ältere Frauen in hochgeschlossenen, schwarzen Kleidern, viele von mürrisch wirkenden Zofen begleitet. Je mehr Menschen in die Kirche strömten, desto unruhiger blickte sich Catalina um. Ihre Mutter war doch sonst immer bei den Ersten gewesen!
Doch da kam sie. Aufrecht und mit zielstrebigen Schritten trat sie aus der Calle Santa Eugenia hinaus und steuerte das Kirchenportal an. Ihr knöchellanger Umhang umwehte ihre hohe Gestalt und gab den Blick auf ein schwarzes Seidenkleid mit edlen Spitzen und Perlenstickerei frei. Catalina fand sie sehr blass, die Nase allzu spitz, die Schultern noch schmaler als früher.
Zunächst bemerkte ihre Mutter sie nicht. Catalina sah, dass sie in der rechten Hand einen Rosenkranz hielt und ihre Lippen sich bewegten. Mutter Gottes, die du bist im Himmel …, betete die Mutter, während ihre Tochter stumm flehte: So sieh mich doch endlich an!
Bald lagen nur noch wenige Meter zwischen ihnen, aber ihre Mutter hob noch immer nicht den Blick. Entschlossen trat Catalina ihr in den Weg. Erstaunt sah ihre Mutter auf – und erblasste.
Der abweisende Blick ließ Catalina unwillkürlich einen Schritt zurückweichen. Da hob ihre Mutter die Hand. Catalina dachte, dass sie ihr über die Wange streichen wollte, doch ihre Mutter ließ die Hand sogleich wieder sinken, und im nächsten Moment wandte sie sich um, als hätte jemand sie gerufen.
Bitte, Mutter, hämmerte es in Catalinas Kopf. So verzeih doch wenigstens du mir!
Endlich wandte ihre Mutter den Kopf. In ihrem Schmerz erschienen ihre Augen Catalina schöner denn je. Doch auch jetzt sagte sie nichts. Sie hob nur wieder die Hand, schloss sie um das goldenen Kreuz, das sie zeit ihres Lebens um den Hals trug, und schritt mit entschlossenen Schritten zum Kirchenportal.
Catalina wusste nicht, wie lange sie ihrer Mutter hinterhergestarrt hatte, aber irgendwann wurde ihr bewusst, dass sie längst allein auf dem Platz stand, das hohe Kirchenportal geschlossen und drinnen ein Loblied für den Herrn angestimmt worden war. Selbst in dem Kerker bei den Nonnen hatte sie sich nicht so einsam gefühlt.
Sie erwog, Georges zu suchen, wollte ihn aber nicht noch tiefer in ihre Schwierigkeiten hineinziehen und verwarf den Gedanken. Die Stadttore waren ihr verschlossen, also blieb ihr nur der Hafen, um aus der Stadt hinauszukommen.
Die Schreie der Silbermöwen klangen Catalina wie die Stimmen von altvertrauten Bekannten im Ohr. Sie sah den Vögeln zu, wie sie sich mit kräftigen Flügelschlägen über das Gewusel von Matrosen, Händlern, Arbeitern, Sklaven und Reisenden hinwegschwangen und sich vom Wind zu den Schiffen und aufs Meer hinaustragen ließen. Auf einmal bekam sie einen
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