Die Nonne mit dem Schwert (German Edition)
Alpakas weiden ging, gesellte sich Catalina zu den Frauen und genoss es, zum ersten Mal seit Jahren sie selbst zu sein und auch wieder Frauenkleider tragen zu dürfen: Die Indiofrauen hatten ihr eine Bluse, eine warme Jacke und Röcke gegeben. Als sie zum ersten Mal in ihren neuen Kleidern vor die Tür getreten war, hatten sie sich wie Kinder gefreut. An diesem Nachmittag schaute sie den Frauen beim Weben zu. Mit schwindelerregender Geschwindigkeit zogen sie ihre Fäden auf dem Spannstock hin und her und ließen dabei die schönsten Farbmuster entstehen.
»Das neue Poncho für mein Mann«, radebrechte Huahuarini mit dem bisschen Spanisch, das sie auf dem Markt im Tal gelernt hatte. Catalina lächelte sie an. Sie mochte die knapp dreißigjährige, etwas rundliche und selbst für indianische Verhältnisse recht kleine Indiofrau, die so mütterlich wirkte. »Wenn du willst, ich dir geben Spannstock und dir zeigen, wie du dein Mann Poncho weben!«
Catalina lachte. »Stefano ist nicht mein Mann, und das weißt du auch.«
»Verheiratet – nicht verheiratet!« Huahuarini zuckte mit den Achseln. »Wen interessieren?«
Catalina wusste inzwischen, dass die Indios ein sehr viel lockereres Verhältnis zur körperlichen Liebe hatten als die Spanier. Im Gegensatz zu den gestrengen Regeln in ihrem eigenen Land, in dem es völlig undenkbar war, dass sich eine Frau einem Mann vor der Ehe hingab, war dies bei den Indios sogar erwünscht.
»Kein anderer Mann Frau wollen, Mann auch nicht Frau heiraten wollen!«, hatte ihr Huahuarini erklärt. Bei den Indios war es ein Beweis der Attraktivität der Frau, wenn sie vor der Ehe schon den einen oder anderen Liebhaber gehabt hatte, und überdies verhalf ihr das natürlich auch dazu, Erfahrungen zu sammeln, von denen der spätere Ehemann profitieren konnte. Und noch etwas hörte Catalina immer wieder von Huahuarini: dass Liebe etwas sehr Schönes, Natürliches und Sinnliches sei.
»Du jetzt Frau bleiben, nicht mehr Mann werden. Du Mann lieben. Du sehen, schön lieben! Und dann du heiraten«, meinte die Indiofrau heute nicht zum ersten Mal zu ihr, doch wieder lachte Catalina nur. Stefano trat hinter sie.
»Warum lachst du darüber?«, fragte er. »Huahuarini hat Recht.«
Catalina aber lachte weiter, und Stefano sagte nichts mehr. Er sah sie nur an.
Drei Wochen später war Catalinas Bein so weit hergestellt, dass sie ihren Weg fortsetzen konnten. Stefano wollte sich noch weiter vom Standort ihrer Truppe entfernen, da er Angst hatte, dass die sie noch immer suchen könnten. Es zog ihn gen Süden, zu den Silberbergen von Potosí. Catalina stöhnte: »Potosí – das ist Hunderte von Meilen entfernt!«
»Aber da könnten wir unser Glück finden! Du hast doch sicher schon von den Silberminen von Potosí gehört, oder?«
Auch Catalina waren die Geschichten von den immensen Silberfunden dort zu Ohren gekommen. Angeblich lagen die Silberadern dort so dicht beieinander, dass man nur ein bisschen an den Felsen herumkratzen musste, um auf eine zu stoßen.
»Ich habe schon von Leuten gehört, die dort an einem Tag mehr Silber aus der Erde geholt haben, als sie hinterher tragen konnten«, schwärmte Stefano. »Und was es dort sonst noch alles gibt: Schilfspeerturniere, Maskenspiele, Stierkämpfe, Empfänge mit kostbaren Preisen und haufenweise Fechtplätze – und wenn wir erst einmal unsere eigene Silberader haben, werden wir an all dem auch teilnehmen können. Potosí ist die reichste Stadt des Spanischen Königsreichs, wahrscheinlich sogar die reichste Stadt überhaupt! Dort tragen die Männer Schärpen und goldene Ketten auf der Brust, die Frauen perlenbesetzte Kleider und brillantengeschmückte Schuhe. Ach, Francisco, auch wir können dort reich werden, so reich, dass uns niemand auf der Welt mehr Vorschriften machen kann.« Obwohl er inzwischen Catalinas richtigen Namen kannte, nannte er sie weiter Francisco. »So kann ich mich auch später nicht verplappern«, hatte er gemeint.
»Stefano, ich weiß nicht. Wenn ich allein an die hohen Berge denke, die wir auf dem Weg dorthin überqueren müssen.«
»Das packen wir schon«, machte er ihr Mut. »Und was dir in Potosí auch gefallen dürfte, ist, dass es dort von Basken nur so wimmelt. Die haben sogar einen eigenen Stadtteil.«
Basken … Catalina seufzte auf. Ja, natürlich zogen ihre Landsleute sie immer an. Sie musste an Mikel denken und fragte sich, ob er noch in Callao war oder ob er sein Glück möglicherweise mittlerweile
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