Die Nonne und der Tod
sagte, es würde gar keine Hexen geben, und das alles wäre nur eine Geschichte, die Georg erfunden hätte.
»Eine andere Nonne hat die Schreie der Äbtissin gehört. Sie kam hinzu und vertrieb die Hexe, bevor die das ganze Kloster in Schutt und Asche legen konnte«, fuhr dieser aber fort, ohne dass ihn jemand unterbrach. »Bürgermeister Wilbolt hat bereits einen Teil seiner Soldaten abgestellt, um die Klöster der Stadt zu bewachen.«
»In was für Zeiten leben wir nur, in denen man Gotteshäuser mit Schwertern beschützen muss«, sagte ein Gaukler namens Dythmar.
Georg begann mit dem Kreuz zu spielen, das er unter seinem Hemd hervorgezogen hatte. »Auf dem Domplatz steht ein Prediger, der sagt, das alles seien Anzeichen für das Ende der Welt.«
Richard schüttelte den Kopf. »Das sagt immer irgendeiner.«
»Aber sieh dir doch an, was passiert«, hielt Georg dagegen und zählte dann auf: »Eine Seuche, die das Land entvölkert. Der Verfall der Sitten. Überall Juden. Das Heilige Land in der Hand der Sarazenen. Und jetzt taucht der Antichrist selbst auf, um unsere Gotteshäuser anzuzünden und die Frommsten unter uns zu ermorden.«
Er meint mich, dachte ich mit einem mulmigen Gefühl. Ich bin sein Antichrist.
Richard grinste. »Zum Erhalt der Sitten tragen Schmuggler und Diebe wie wir auch nicht unbedingt bei.«
»Ganz genau«, stimmte Paul zu und sagte zu Georg: »Wenn du den Heiligen spielen willst, musst du dich zumindest an die zehn Gebote halten. Da heißt es: Du sollst nicht stehlen!« Fragend sah er mich an. »Heißt es doch, oder?«
Georgs Gesicht verknitterte sich. Er war ein gutmütiger, freundlicher Mann, an dessen Seite ich mich abends in den Gassen sicher fühlte, aber wenn es um seinen Glauben ging, wurde er zu einem anderen, unangenehmen Menschen. »Ihr denkt, das wäre alles ein Witz, oder?« Sein Blick traf jeden von uns. »Ihr werdet nicht mehr lange lachen. Das Ende kommt, ob ihr bereit seid oder nicht.« Er wandte sich ab, ging zu seiner Schlafstelle und zog den Vorhang zu.
Czyne seufzte und schüttelte den Kopf, überließ es aber Richard, etwas dazu zu sagen.
»Ihr alle habt Georgs Geschichte gehört. Die Stadt wird voller Soldaten sein, also passt auf.« Sein Blick streifte mich. »Ich habe euch auch gebeten, darüber zu befinden, ob Ketlin bei uns bleiben darf oder nicht. Jeder Einzelne ist zu mir gekommen und hat seine Meinung kundgetan.« Er drehte sich ganz zu mir um und sagte: »Nur einer hat sich gegen deine Aufnahme ausgesprochen, damit bist du bei uns aufgenommen, Ketlin.«
Ich dankte ihm und allen anderen, sogar Czyne, obwohl ich mir denken konnte, dass sie es gewesen war, die gegen mich gesprochen hatte.
Paul zeigte mir meine Schlafstatt. Sie befand sich an der linken hinteren Wand der Höhle, nahe eines Luftabzugs, wie er direkt erklärte.
»Das ist eine gute Stelle«, fuhr er fort. »Links die Wand und auf der anderen Seite schläft niemand. Wir haben die Verschläge für die Gaukler aufgebaut, aber die meisten sind abgehauen, als sich die Schließung der Tore anbahnte. Das ist jetzt dein Glück.«
Ich legte meinen Umhang ab und setzte mich auf die Matratze. Daneben standen ein Hocker mit einer Waschschüssel und ein kleines Regal, in dem sich ein hölzerner Napf, ein Löffel und ein Messer befanden.
»Ich dachte, du könntest das vielleicht gebrauchen.« Paul wirkte verlegen. »Es ist nicht viel, aber …«
Ich unterbrach ihn. »Es ist mehr, als ich im Kloster hatte, viel mehr. Ich danke dir.«
Er nickte, dann wandte er sich ab und ging davon.
Ich blieb zurück, während er zu den anderen Schmugglern zurückging. Meine Gedanken kreisten um Schwester Johannita und das, was sie getan hatte. Agnes hatte in Georgs Geschichte keine Erwähnung gefunden. Vielleicht hatte Johannita verschwiegen, dass auch sie in die Sache verwickelt war. Agnes war keine Lügnerin. Es fiel ihr leichter zu schweigen, als die Unwahrheit zu sagen. Das musste Johannita wissen.
Nun, ich wurde zwar mittlerweile nicht nur als Hexe gesucht, sondern auch als Mörderin – was beides gleich schlimm war –, doch solange ich dem Kloster fernblieb, brauchte ich keine Angst zu haben, dass man mich fasste. Coellen war eine große Stadt. Einen einzelnen Menschen darin zu finden, erschien mir unmöglich.
Ich sah mich in der Nähe meiner neuen Schlafstatt um. Die Reliefs und Symbole, die ich dort entdeckte, waren unbeschädigt, und ich betrachtete sie im Licht der vielen Lampen und Kerzen, von denen
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