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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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warf einen kurzen Blick in den leeren Gang, dann schloss ich die Tür. »Was machst du hier?«, fragte ich, obwohl ich es mir denken konnte.
    Agnes antwortete nicht, sondern durchwühlte weiterhin die Truhe. »Es muss hier doch irgendwo sein«, sagte sie, mehr an sich selbst als an mich gerichtet. Sie klang nüchterner als zuvor. »Ich habe schon ihr Schreibzimmer durchsucht und nichts gefunden. Sie kann es nur hier aufbewahren.«
    »Meinst du ihr Geld?«
    »Was denn sonst? Wenn du mir helfen willst, dann such unter dem Bett. Wir teilen gerecht, was wir finden.«
    Ich stand stocksteif in der Zelle. Noch nie hatte ich sie betreten, und ich fühlte mich unwohl darin. Schwester Johannita hatte ein richtiges Bett mit dicken Daunendecken und weichen, großen Kissen. Daneben stand ein Regal, in dem ein einzelnes Buch stand, eine sicherlich im Kloster angefertigte Bibel. Sie allein war wohl mehr wert als das Haus, in dem Mutter und ich gelebt hatten, einschließlich des Viehs und des Lands.
    »Willst du einfach nur dastehen oder mir helfen?« Schwester Agnes’ Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
    »Nein, ich will dir nicht helfen«, antwortete ich ihr ehrlich. »Lass uns bitte gehen, bevor die Andacht vorbei ist. Du brauchst das Geld nicht.«
    »Jeder braucht Geld.«
    »Sei nicht dumm. Du hast hier doch alles. Komm mit.« Ich streckte die Hand aus, aber Schwester Agnes sah nicht einmal auf, wühlte weiter in Wollsocken und Unterkleidern herum.
    »Nichts habe ich«, sagte sie. »Ich bin über fünfzig Jahre alt und habe noch nie auch nur einen Pfennig besessen. Ich habe nicht einmal ein Zimmer, dessen Tür ich hinter mir schließen kann.« Nun sah sie doch auf. In ihren Augen standen Tränen. »Ich will nicht eines Tages im Kräutergarten tot umfallen, mit halb erfrorenen Händen und leerem Magen. Mit dem Geld könnte ich weg von hier, mich irgendwo in einem Kloster einkaufen und den Rest meines Lebens in einer warmen Stube sitzen und sticken. Das habe ich verdient, Ketlin, und wenn der Herr das nicht auch denken würde, hätte er mir kaum diese Gelegenheit verschafft.«
    Und wenn es der Teufel war?, fragte ich mich, ohne es auszusprechen.
    »Such unter dem Bett«, bat sie mich. »Es muss hier irgendwo sein.«
    Am liebsten wäre ich gegangen, aber ich wollte Agnes nicht allein lassen. Ich glaubte nicht, dass ihr das Geld, das ihr ja auch nicht gehörte, zustand, aber sie war meine Freundin, die sich um mich gekümmert und mir geholfen hatte. Nun hatte ich ihr zu helfen.
    Ich öffnete die Tür einen Spalt. »Damit wir den Gesang der Nonnen zum Ende der Andacht hören«, erklärte ich flüsternd, als Agnes mich fragend ansah. Dann tat ich, worum sie mich gebeten hatte.
    Der leidende Christus an seinem Kreuz, der über dem Bett hing, schien mich zu beobachten, als ich die Kissen vom Bett zog und meine Hände unter die Matratze schob. Sorgfältig tastete ich sie ab, während Schwester Agnes begann, die Wäsche aus der Truhe zu ziehen und auf dem Boden zu verteilen. Mit jedem Atemzug wirkte sie verzweifelter. Ebenso wie ich wusste sie, dass sie etwas finden musste, sonst verlor sie mehr als nur den Traum von einem besseren Leben.
    »Es ist nicht hier.«
    Vor Schrecken hätte ich beinahe aufgeschrien, als ich die Stimme hörte. Ich zog die Hände zurück und sprang auf. Agnes regte sich nicht, ließ nur stumm den Kopf sinken.
    »Ich habe das Geld längst Mutter Immaculata gegeben.« Schwester Johannita zog die Tür hinter sich zu und drehte sich zu uns um. Ihr massiger, großer Körper versperrte uns den Weg nach draußen. In einer Hand hielt sie einen Kerzenständer, die andere spielte mit dem Rosenkranz an ihrem Gürtel. Ihr Blick glitt von mir zu Schwester Agnes, dann wieder zurück zu mir.
    »Ich hätte wissen müssen, dass du irgendwann wieder auftauchen würdest. Erst bringst du einen Skandal über das Kloster und jetzt auch noch den Ruin über Schwester Agnes.«
    »Das …«, begann die ältere Nonne, aber ich unterbrach sie.
    »Ich habe sie gezwungen, mir zu helfen«, behauptete ich. »Aus christlicher Nächstenliebe hat sie mich in der Kräuterhütte schlafen lassen, und ich habe gedroht, das zu verraten, wenn sie mir nicht hilft, dein Geld zu suchen.«
    Schwester Agnes schloss den Mund. Sie nickte nicht, aber sie versuchte auch nicht, die Sache richtigzustellen.
    Den Blick, mit dem mich Schwester Johannita musterte, konnte ich nicht deuten. Vielleicht glaubte sie mir, vielleicht war es ihr auch egal, ob es stimmte,

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