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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Garten gehört, kannst du das gern tun.«
    Die Veränderung, die mit Maria vorgegangen war, seit sie sich in der neuen Umgebung befand, verstörte mich. Im Kloster war sie selbstsicher und geradezu weltgewandt aufgetreten, nun machte sie einen zutiefst naiven und eingeschüchterten Eindruck.
    Der Blaue Eisenhut hatte sich gegen die anderen Pflanzen durchgesetzt und war so hoch gewachsen, wie ich es selten bei diesem Kraut gesehen hatte. Ich zog ihn mitsamt der Wurzeln heraus und hoffte, dass ich ihn irgendwie vor dem Verdorren bewahren konnte, bis wir nach Coellen zurückkehrten. In dem Viertel, wo die Schmuggler ihren Unterschlupf hatten, gab es zwischen den Hütten genügend Platz für Gärten. Wenn wir einen eigenen anlegten, würden wir irgendwann von Schwester Johannita unabhängig sein.
    Ich tue so, als würde das alles noch Jahre so weitergehen, dachte ich, dabei kann schon morgen alles vorbei sein.
    Zwischen Brennnesseln entdeckte ich noch einige andere Kräuter, die ich ebenfalls pflückte.
    Das Beet reichte bis an die Rückseite der Hütte heran, und ich bemerkte, dass es dort zwar keine Tür, aber ein kopfgroßes, mit einem zerschlissenen Stück Stoff verhängtes Fenster gab.
    Dahinter brummte etwas.
    Es war ein seltsames, fremdes Geräusch.
    Ich erhob mich aus meiner hockenden Haltung und ging auf Zehenspitzen auf das Fenster zu. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Richard den Kopf schüttelte und Maria eine Hand vor den Mund legte. Die anderen beiden waren nicht stehen geblieben. Sie mussten irgendwo auf der anderen Seite der Hütte sein.
    Vorsichtig streckte ich die Hand aus. Der Vorhangstoff, den meine Fingerspitzen berührten, war so dünn, dass es mir vorkam, als könnte ich hindurchgreifen. Ich schob ihn beiseite, und Sonnenlicht fiel in die dunkle Hütte.
    Ich ließ den Stoff wieder sinken, wandte mich ab und verließ den Garten. Sorgfältig schloss ich das Tor hinter mir.
    »Und?«, fragte Richard, als ich neben ihm stehen blieb. »Hast du was gesehen?«
    »Nein, nichts.«
    Doch in meinen Gedanken sah ich nichts anderes als das Innere der Hütte. Noch immer steht dieses Bild so klar vor meinem inneren Auge, als hätte ich es gerade erst gesehen. Die tosende schwarze Wolke aus Fliegen, die wütend aufsteigt, als das Sonnenlicht sie trifft. Den verwesenden Hund neben der Tür, ein wimmelndes Knäuel aus Fell und Maden. Und die Menschen, vor allem die Menschen. Fast alle sind nackt. Im Todeskampf müssen sie sich die Kleider vom Leib gerissen haben; zwischen Unrat und Maden liegen noch die Lumpen. Eine verwesende, lippenlose Frau hält ein kleines Kind in den Armen, ein augenloser Mann hat sich neben ihr zusammengerollt. Kinder liegen über und neben ihnen. Zwei scheinen im Schlaf gestorben zu sein, das dritte sitzt aufrecht an der Wand, die Haut voller Fliegen, den Mund zu einem Schrei geöffnet, der niemals enden wird. Dieses Gesicht kann ich nicht vergessen.
    Es ist das Gesicht der Seuche.
    Ich versuchte, das grausame Bild abzuschütteln, ahnte jedoch, dass es mir nicht gelingen würde.
    Paul und Czyne tauchten vor uns wieder auf, neben einem Karren, dessen Achse gebrochen war. Beide waren blass.
    »Lasst uns bloß von hier verschwinden!«, rief Paul. »Das ist ein gottverdammter Friedhof!«
    Richard drehte sich bereits um. »Wir werden schon bis Bonn nicht verhu…«
    Er unterbrach sich, legte den Kopf schräg und lauschte. Niemand sagte etwas, wir alle versuchten zu hören, was er hörte.
    Hufschläge. Das Schnauben von Pferden. Sie waren schon fast heran. Bis ins hohe Gras würden wir es nicht mehr schaffen, es blieben nur die Hütten.
    Czyne hatte offenbar den gleichen Gedanken wie ich. Sie packte Maria am Arm und lief mit ihr auf die Hütte zu, in die ich hineingesehen hatte.
    »Nein!« Ich hielt sie zurück, zeigte stattdessen auf die Hütte mit dem eingestürzten Dach. Czyne fragte nicht nach, sondern folgte Richard und mir durch die offene Tür ins Innere.
    Paul huschte als Letzter hinein, versuchte die Tür zu schließen, aber sie hatte sich zu stark verzogen.
    »Verdammt!«, murmelte er.
    Ich sah mich um. Der hintere Teil des Dachs war eingestürzt und verdeckte das einzige Fenster, der vordere wurde nur noch von einem Balken gehalten. Die Menschen, die in der Hütte gelebt hatten, mussten geflohen sein, denn ich sah weder Leichen noch ein einziges Möbelstück.
    Wir wichen so weit wie möglich von der Tür zurück, hofften, dass uns niemand gesehen hatte.
    »Warum verstecken wir uns?«,

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