Die Nonne und der Tod
tut.«
Ich hatte keine Antwort darauf erwartet und erhielt auch keine. Draußen begannen die Vögel zu singen, im Inneren der Hütte hörte ich nur Schwester Agnes’ schnaufenden Atem und die Stimme in meinen Gedanken, die unablässig die gleiche Frage stellte : Was soll ich denn jetzt tun?
Schließlich öffnete ich die Augen und sah die alte Nonne an. »Glaubst du mir, Agnes?«
»Ja«, sagte sie nach einem Moment. »Du bist keine gute Nonne. Du bist sogar eine sehr schlechte Nonne. Aber das macht dich nicht zu einer Gespielin des Teufels.« Sie strich sich mit ihren faltigen alten Händen über die Tracht. »Es gibt jedoch solche, die alles Schändliche glauben wollen, was sie über ihren Nächsten hören. Manche davon leben hinter diesen Mauern.«
Sie musste keine Namen nennen, ich konnte mir denken, wen sie meinte.
»Du hast es ihnen leicht gemacht, Ketlin, hast dich zum Außenseiter machen lassen, und schließlich, als dir alles zu viel wurde, bist du vor denen geflohen, die dich nicht anerkennen wollten«, fuhr Schwester Agnes fort. »Du wolltest dich deiner Prüfung nicht stellen, aber vor unserem Herrn kann niemand fliehen.«
Die Stimme in meinem Kopf wurde so laut, dass ich ihre Worte aussprechen musste. »Was soll ich denn nur tun?«
Von ihrem Schemel sah Schwester Agnes zu mir hinunter. Sie schien mit sich zu ringen, lächelte nach einer Weile jedoch. »Mach dir keine Sorgen, uns fällt schon etwas ein.«
Uns . In diesem Moment hätte ich das Wort nicht einmal mit Gold aufwiegen können. Es bedeutete, dass jemand an meiner Seite stand und zu mir hielt.
Es bedeutete, dass ich nicht allein war.
Kapitel 23
Abwarten – das war es, was Schwester Agnes einfiel.
Gegen Mittag brachte sie mir Decken und Kleidung zum Wechseln, die aus dem Fundus für die Armen der Stadt stammten.
»Du bist arm, oder nicht?«, sagte sie, als ich das Kleid mitsamt Unterkleid und Schürze nicht annehmen wollte. »Würde ich dir nicht helfen, müsstest du auf der Straße betteln.«
Da niemand außer ihr und mir den Kräutergarten pflegte und aberntete, betrat auch niemand die Hütte. Schwester Agnes schlug mir vor, dort zu bleiben, bis die Stadttore wieder geöffnet wurden. »Ich werde mich solange um dich kümmern.«
Mir war klar, dass sie sich damit in Gefahr brachte, trotzdem wehrte ich ihr Angebot nur halbherzig ab. »Aber das kann noch Monate dauern. So lange kann ich mich doch nicht hier verstecken.«
Schwester Agnes jedoch schüttelte den Kopf. »Ein paar Wochen, wenn nicht sogar weniger. Sobald die Reichen nicht mehr satt werden, öffnet der Rat die Tore. Das wird schneller passieren, als du denkst.«
Sie hatte recht, ich musste bleiben, denn es gab keinen anderen Menschen, an den ich mich wenden, und keinen anderen Ort, wo ich hingehen konnte.
Gemeinsam schichteten wir das Stroh auf, das sie mitgebracht hatte, und breiteten die Decken darauf aus. »Ein paar Wochen, dann wirst du Coellen verlassen und in ein Kloster irgendwo auf dem Land eintreten«, sagte sie. »Ich werde ein gutes für dich aussuchen, eines, wo man dich als Beginin aufnehmen und dein Wissen schätzen wird. Du musst dich nur ein wenig zusammenreißen, dann liegt ein gutes Leben vor dir, du wirst schon sehen.«
Es klang, als beschriebe sie einen Traum, der sich für sie nie erfüllt hatte. Ich lächelte und dankte ihr, tat so, als wäre ihr Traum auch der meine. Es brach mir fast das Herz, dass ich sie belügen musste, doch selbst Agnes durfte nie von Jacob erfahren – und von meinem Traum, der für sie sicherlich geklungen hätte, als habe der Teufel selbst ihn mir eingeflüstert.
»Du musst mir nicht danken«, sagte die alte Nonne, aber ich sah, dass sie sich über meine Worte freute. »Christus will, dass wir einander helfen, und wenn es andersherum wäre, würdest du das Gleiche für mich tun.«
»Das hoffe ich«, sagte ich.
Wir beteten gemeinsam darum, dass Gott uns die Weisheit schenken möge, die richtigen Entscheidungen zu treffen, dann ließ mich Agnes in die Kräuterhütte zurück.
Ich blieb den Rest des Tages dort und schlief gut in dieser Nacht, besser als in der ersten, und wurde erst wach, als die Glocke zur Laudes rief. Ich wusch mich, packte einige Vorräte für den Tag zusammen, zog die Kapuze meines Umhangs tief ins Gesicht und machte mich durch eine Lücke in der Mauer auf den Weg in die Stadt.
Mein neuer Tagesablauf wurde schon bald zur Gewohnheit. Ich ging die vier Stadttore ab und hielt Ausschau nach Jacob, bis es
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