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Die Nonne und der Tod

Die Nonne und der Tod

Titel: Die Nonne und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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lag auf der anderen Seite des Klosters, so weit entfernt, dass ich den Gesang der Nonnen nicht hören konnte.
    Rasch ging ich hinauf zur Küche. Mir begegnete niemand, und auch die Küche war leer. Ich füllte meinen Trinkschlauch mit Bier und steckte Zwiebeln, Kirschen und ein paar von den Pilzen ein, die in Körben auf den Arbeitsplatten standen. Ich war nicht gierig, nahm nur so viel, dass es, wie ich hoffte, nicht auffallen würde. Dann zog ich die Küchentür hinter mir zu. Die Andacht konnte nicht mehr lange dauern. Ich musste mich beeilen.
    »Ketlin?«
    Ich erschrak so sehr, dass mir alles, was ich in den Händen hielt, entglitt. Kirschen fielen auf den Boden und zerplatzten, Zwiebeln rollten über die Steine und blieben vor nackten, schmutzigen Füßen liegen.
    Mein Herz raste, das Blut rauschte in meinen Ohren. »Schwester Agnes, ich …«
    Sie ließ mich nicht ausreden. »Was machst du denn hier? Hat der Herr dir den Verstand genommen?«
    Ihre Worte erschienen mir übertrieben, trotzdem bückte ich mich und begann die Dinge, die ich fallen gelassen hatte, aufzuheben. »Es ist doch nur ein wenig Obst, Pilze und Zwiebeln. Ich lege es zurück, wenn du willst.«
    »Wegen mir könntest du die ganze Küche leer räumen.« Schwester Agnes sah sich um. »Ich verstehe nur nicht, wieso du ausgerechnet hierher gekommen bist, nach al…« Sie unterbrach sich.
    Ich hob den Blick. »Nach was?«
    »Großer Gott, du weißt es gar nicht. Komm.«
    Sie half mir, die letzten Kirschen aufzulesen, dann ergriff sie meinen Oberarm und zog mich in einen der kleineren Nebengänge. Über Umwege, die ich selbst nach einem halben Jahr im Kloster nicht kannte, gelangten wir zu den Kräutergärten. Schwester Agnes war bereits außer Atem, als wir dort ankamen, aber sie ging auf meine Bitte, doch endlich stehen zu bleiben und mir zu sagen, was geschehen war, nicht ein.
    Sie zog mich mit sich in die kleine Hütte, in der sie die Kräuter, die wir … die sie erntete, zum Trocknen auslegte, schloss die Tür hinter mir und setzte sich schwer atmend auf einen viel zu kleinen Schemel. Ich reichte ihr meinen Trinkschlauch, aber sie winkte ab.
    »Gestern Abend kamen Soldaten ins Kloster«, sagte Schwester Agnes. »Sie waren auf der Suche nach dir. Schwester Ysentrud wollte sie zuerst nicht einlassen, aber dann kamen Schwester Johannita und Mutter Immaculata hinzu und gestatteten ihnen Einlass.«
    »Was wollten sie denn von mir?«, fragte ich kopfschüttelnd.
    Sie sah mich an. In ihren alten trüben Augen entdeckte ich Unverständnis und Mitleid. »Sie wollten dich verhaften. Sie sagten, du seist eine Hexe.«
    Das Wort traf mich wie ein Schlag. Meine Wangen brannten, und auf einmal glaubte ich wieder den Rauch in der Hütte meiner Mutter zu riechen und die Rufe zu hören. »Was?«
    Schwester Agnes fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. »Sie haben das ganze Kloster durchsucht und auch die Zellen. In deiner fand einer von ihnen eine Art Buch mit Zeichnungen und Beschreibungen. Sie sagten, das seien Anleitungen für Gifte und Zaubertränke. Teufelswerk.«
    Sie machte eine Pause, wartete auf eine Erklärung.
    »Ich habe nur Kräuter aufgemalt und beschrieben, damit andere davon lernen können. Das ist alles.«
    »Und warum hast du es dann versteckt?«
    »Weil …« Ich brach ab, war zu aufgeregt, um zu lügen. Stattdessen hob ich die Schultern. »Ich weiß nicht.«
    Etwas im Blick von Schwester Agnes veränderte sich. »Und was ist mit dieser Frau, dieser Cecilie?«
    Einen Moment lang wusste ich nicht, wen sie meinte, dann erinnerte ich mich an jene Frau, die sich Erasmus angeboten hatte, um eine Pestmaske für ihre Kinder und sich zu erstehen. »Was soll mit ihr sein?«
    »Die Soldaten sagen, du hättest mit ihr gesprochen, das hätten viele gesehen, und kurz danach fand man sie auf dem Dachboden ihres Hauses.» Sie bekreuzigte sich. »Sie hat sich erhängt.«
    »Sie ist … tot? « Ich musste mich an der Wand festhalten, sonst wäre ich gestürzt, denn mit einem Mal wurde mir ganz schwindelig. Es kam mir so vor, als hätte ich selbst eine Schlinge um den Hals, die sich mit jedem Wort, das Schwester Agnes sprach, weiter zuzog. »Ich wollte ihr doch nur helfen …«
    Schwester Agnes schwieg.
    Die Stille hing schwer und anklagend in der Hütte. Meine Knie wurden weich. Ich setzte mich auf den Boden, presste den Rücken gegen die Tür und schloss die Augen. »Ich … bin keine Hexe …«, sagte ich leise. »Ich weiß noch nicht einmal, was eine Hexe

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