Die Ochsentour - Mit BUK auf Deutschland Tour
nicht anspricht. Und er (sie, Verzeihung, meine Damen) auch nicht ansprechen wird. Alles, wonach sich die Leute sehnen, sind reichlich zu essen und ein bißchen Sex und fast überall auf der Erde, Mensch für Mensch, wird ihnen das verwehrt, diese elementaren Wünsche. Ich stamme aus der Unterschicht, ohne große Erziehung, und saß im Zug neben einer wunderschönen Frau, und wir näherten uns Paris, ich kurz vor 60, verwirrt und durcheinander, unzufrieden mit meinem Schicksal. Was für eine miese Flasche, was für ein Weltenbummler war ich geworden... Nun gut, scheißegal, ich kriegte die Nase ja nicht voll...
»Gib mal was von deinem Wein rüber, Kleines...«
»Hank, du hast zu schnell getrunken. Dir wird schlecht werden ...«
»Weiß ich. Nur ein kleines Schlückchen, Kleines, zur Seelenmassage ... ich bin ein schwacher Mann. Nur ein Schlückchen, mein Engel...«
»Nun gut...«
»Dank dir...«
»Halte dich aber zurück, es ist die letzte Flasche...«
Der Zug fuhr und fuhr, und draußen sahen wir kleine Dörfer, und sie sahen genauso ungewöhnlich und sauber aus wie in Deutschland, wie aus dem Märchen entsprungen, die schmalen Straßen mit ihrem Kopfsteinpflaster, die hohen Dächer, aber es gab auch hier
den Kampf ums Überleben, die Begierde, den Mord, den Wahnsinn, den Verrat, die Sinnlosigkeit, die Angst, den Stumpfsinn, falsche Götter, Vergewaltigung, Trunksucht, Rauschgift, Hunde, Katzen, Kinder, Fernsehen, Zeitungen, Toiletten gestrichen voll, blinde Kanarienvögel, Einsamkeit... Die Schriftstellerei schien ein Ausweg zu sein, eine Möglichkeit aufzuschreien, aber so viele schlechte Schriftsteller, verstopfte Toiletten, verstopfte Schriftstellerei. Einmal nach langer Zeit ist ein guter dahergekommen, Céline, und den konnte man lesen und dabei lachen, weil er wußte, daß es keine Hoffnung gab, und er sagte es geradeheraus. Mein Gott, ich wollte einfach weg von Europa und zurück zu meiner urigen Schreibmaschine; die stand da rum und wartete auf mich, und sie spuckte einfach alle Arten von Zeilen aus, über die ich keine Kontrolle hatte, und das ging von selbst, und das war nichts Heiliges, aber eins war sicher, es machte glücklich.
»Grübel nicht so viel«, sagte Linda, »versuche zu schlafen.«
Und es gab noch mehr, was glücklich machte: eine gute Frau. Es hatte 56 Jahre gedauert, bis ich Linda gefunden hatte, und das Warten hatte sich gelohnt. Ein Mann muß viele Frauen hinter sich haben, um die richtige zu finden, und wenn er Glück hat, wird er sie finden. Es wäre töricht für einen Mann, sich für die erste oder zweite Frau in seinem Leben zu entscheiden, er hätte dann keine Ahnung von Frauen. Ein Mann muß durch diese Schule durch, und das heißt nicht nur schnell mal mit Frauen schlafen, sie ein- oder zweimal bumsen; es heißt, mit den Frauen monate- und jahrelang leben. Ich mache keinem Mann einen Vorwurf, der Angst davor hat-das bedeutet nämlich, mit vollem Herzen dabei zu sein. Klar, ein paar Männer schlittern da so rein bei Frauen, sie geben es dran, sie sagen, sie haben das Beste draus gemacht, und damit basta. Es gibt viele von dieser Sorte, es haben in der Tat die meisten Leute so ein Stillhalteabkommen geschlossen: sie merken zwar, daß es nicht optimal läuft, aber egal, laßt uns in Ruhe, hat keinen Wert, durch all das noch mal durchzugehen, was gibt’s heute im Fernsehen? Nichts. Macht nichts, komm, wir kucken trotzdem. - Es ist besser, als sich gegenseitig anzuschauen, es ist besser, als eben darüber nachzudenken. Das Fernsehen hält mehr kaputte Ehen zusammen als gemeinsame Kinder oder die Kirche. Wenn man an all die Millionen denkt, die Zusammenleben, ohne es zu wollen, und die ihren Beruf hassen und Angst haben, ihn zu verlieren, dann wundert es einen nicht, daß ihre Gesichter so aussehen, wie sie aussehen. Es ist fast unmöglich, sich ein durchschnittliches Gesicht anzuschauen, ohne sich nicht schließlich wegdrehen zu müssen und woanders hinzuschauen, was anderes anzuschauen, eine Apfelsine, einen Felsen, eine Flasche mit Terpentin oder den Arsch von einem Hund. Selbst in den Gefängnissen und Irrenhäusern findet man keine vernünftigen Gesichter mehr, und sogar der Arzt, der sich im Sterben über dich beugt, hat eine idiotische Fratze. Ich mag mein eigenes Gesicht nicht, ich hasse Spiegel; irgendwas ist zwischen uns früher mal schiefgelaufen, und wir kommen nicht mehr auf einen Nenner.
Was für eine Scheiße, was Mann, daß unsere eigene Scheiße besser als
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