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Die Oder Ich

Titel: Die Oder Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilfried Eggers
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schreibt:
     
    Ich suche weiterhin den Stein des Weisen, den Jungbrunnen und den Schatz der Nibelungen! Und ich weiß, ich werde alles finden!! Man muss nur daran glauben!!! Und eine schöne Frau werde ich auch kriegen. Und sie glücklich machen. Yes! Wonne, Wärme, Wiege. Bett, vögeln. Warmes, feuchtes, tiefes Fötzchen. Olala! Geld, Gesundheit, Glück, Glaube, Gesundheit, Glück. Geld.

8. Kapitel
     
    In dem es langsam ungemütlich wird,
weil Rechtsanwalt Schlüter ein grausiges Erlebnis hat
     
    Der Sommer atmete tief aus seiner breiten Brust und es hätte ein beschaulicher Abend werden können. War das Landleben beschaulicher als das Stadtleben? Nur weil, wie Holberg sagte, hier das Wasser stillstand und zu faulen begann? Die Altstadt von Hemmstedt konnte man in zehn Minuten zu Fuß durchqueren und doch brachte diese mickrige Kleinstadt den Puls hoch, das hatte Schlüter nach dem Umzug festgestellt. Dafür war er jetzt dauernd mit dem Auto unterwegs: ins Büro, zum Gericht, zum Einkaufen. Und das brachte den Puls auch hoch, weshalb man die Feierabende und Wochenenden zum Absenken benötigte.
    Ein Nieselregen und die Dunkelheit hatten Christa aus dem Garten vertrieben. Die Tomaten setzten prächtig an, bald würden die ersten reif sein. Die meisten Stangenbohnen aber waren von den Schnecken aufgefressen worden, nur wenige Pflanzen hatten überlebt und drehten ihre Winden um die Stangen, die Schlüter hatte aufstellen müssen. Auch den Salat hatten die Tierchen niedergemacht. Doch immerhin gediehen die Zwiebeln und hatten dicke Bäuche. Seit Stunden war Christa in ihrem Buch versunken, Lord Edward Bulwer-Lyttons What will he do with it, einem hundertfünfzig Jahre alten Schinken von mehr als tausend Seiten, eine Landschaft von einem Roman, wie Christa sagte, so vielfältig und Berg-und-Tal-und-Fluss-und-Moor-und-Meer wie ein ganzer Kontinent; eine kleine Rauchsäule stieg über der Rückenlehne des Lesesessels auf, und Schlüter genoss die zeitlose Abendzeit und den friedlichen Geruch der Filterlosen, das Höhlenfeuer der Moderne, auch wenn er selbst nicht rauchte. Er nahm einen Schluck Ostfriesentee, englisch zubereitet, also mit viel Milch, die sie jetzt immer von Bauer Heinsohn holten, aus der französischen Großtasse, in die man das ganze Gesicht senken konnte. Schlüter studierte die Memoirer von Ludvig Holberg, seine Lektüre war noch hundert Jahre älter als Christas. Er begriff, warum die Skandinavier in Sachen Gleichberechtigung dem Rest der Welt um Generationen voraus waren. Vermutlich war das der Grund, warum sie so reich waren, denn Krieg macht arm, auch der zwischen den Geschlechtern. Mittlerweile brauchte Schlüter das Wörterbuch nicht mehr so oft.
    »Hast du das gehört?«, fragte Christa mit abgespreizter Zigarettenhand.
    »Nee, was denn?«
    »Da hat was gequietscht.«
    »Was soll da quietschen?«
    »Weiß ich auch nicht.« Sie schnippte die Asche der Zigarette in den Aschenbecher.
    Schlüter trank einen Schluck und las weiter. Man musste es schaffen, nicht mehr innerlich zu übersetzen, sondern das fremde Wort wie die Muttersprache zu verstehen, und das gelang nur dem eifrigen Leser.
    »Mhh«, sagte Christa.
    Witzbold, dieser Holberg. Heute wäre er Kabarettist oder Comedian, wie es neuerdings hieß. »Was mhh?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Was weißt du nicht?«
    »Das weiß ich eben nicht.«
    Schlüter seufzte ergeben und las den letzten Absatz noch einmal. Holberg schrieb, er wisse nicht, warum Frauen für jeden öffentlichen oder privaten Beruf der Welt nicht ebenso geeignet sein sollten wie Männer. Ihre Fähigkeiten seien die gleichen und die Männer hätten ihre Rechte nur per Anordnung, nicht aber aus natürlichen Gründen. Man musste sich schon wundern, wie weit manche Herrschaften ihrer Zeit voraus gewesen waren. 1743 hatte der Mann das geschrieben! Holberg stammte aus Bergen, damals ein verregnetes Kaff an der Westküste von Norwegen, kaum zwanzigtausend Einwohner, kleiner als Hemmstedt heute. Zu Holbergs Zeit führten die Katholiken in gelehrten Traktaten aus, dass die Frau keine Seele habe und somit kein vollwertiger Mensch sei. Sie beriefen sich auf das morgenländische Sagenbuch, demzufolge der Große Chef die Frau aus der minderen Rippe eines Mannes verfertigt hatte, auf die Letzterer, aus hochwertigem Lehm als Ebenbild Gottes geschaffen und als Erster mit Leben behaucht, großzügig verzichten konnte. Das Elend der Welt und alle Kriege begannen damit, dass einer sich besser als

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