Die Oder Ich
kleiner Mann, der sich groß machte. »Wir haben den Schrank in der kleinen Stube von der einen auf die andere Seite gestellt.«
»Und warum haben Sie die ganze Nacht dafür gebraucht?«
»Nicht die ganze Nacht. Bestimmt nicht, junger Mann. Eine Zeit schon, aber nicht die ganze Nacht.«
»Und immer hin und her! Warum haben Sie den Schrank immer hin und her geschoben?«
»Nicht hin und her, nur hin. Den Tisch noch ein bisschen und die Sessel auch, das schon. Haben wir Sie gestört?«
»Ich habe nicht schlafen können!«
»Das wollten wir nicht, junger Mann, das wollten wir nicht. Ganz bestimmt nicht. Das tut mir leid.«
»Und wozu haben Sie geräumt?«
»Die Frau braucht mehr Platz. Eine große Platte haben wir aufgestellt, auf zwei Böcke. Zum Würstemachen braucht sie die.«
»Würstemachen?«
»No ja«, lächelte der Pole. »Die Rente ist noch nicht durch, wir haben nichts als die Sozialhilfe, und da hat man nicht viel zu beißen, wissen Sie doch wohl. Und die Kinder, die Familie, man will gern was zum Geben haben und es gibt auch viele, die polnische Wurst vermissen. Hier sind viele aus Polen jetzt, nicht nur wir.«
»Ich konnte nicht schlafen!«, wiederholte Kurbjuweit.
Der Alte sah auf ihn herab, mit einem langen Blick aus granitgrauen Augen. »Am besten kann man schlafen, wenn man müde ist. Und müde ist man nach der Arbeit«, stellte der Pole fest. »Ich bin jetzt immer müde. Fünfzig Jahre habe ich gearbeitet. Fünfundvierzig davon unter Tage.« Mit diesen Worten setzte er sich wieder in Bewegung, strich an Kurbjuweit vorbei, nahm dabei jede Stufe mit Bedacht. »Aber die Frau«, sagte er noch, sich halb umwendend, »die hat noch Kraft, die ist zäh.« Und setzte seinen Abstieg fort.
Kurbjuweit hörte das Schurren der schwarzen Bergmannsstiefel. Ja, zäh war sie, die Alte. Sie würde hundert werden und ihr Kinn war jetzt schon spitz wie das einer Hexe. Eine unheimliche Alte.
So war das.
Am nächsten Abend hörte er wieder das Schurren, sie räumten schon wieder um, die Stachowiaks, aber welchen Schrank, welche Sessel, welche Platte jetzt? Etwas schleifte da oben, man hörte es nicht nur, man fühlte es auch, bis in die Fingerspitzen, bis in die Nägel, als kratze man an einer steinernen Wand. Eine Gänsehaut machte es, dieses Schurren.
Auch am dritten Tag räumten sie um, wann zum Teufel waren sie fertig? Am vierten Tag beschloss Kurbjuweit, sich zu wehren. Einen Beschwerdebrief schrieb er an die Hausverwaltung, er hat ihn fortgeschickt und eine Abschrift behalten, zum Beweis. Sie liegt auf dem Küchentisch.
Sehr geehrte Frau Sieber,
bitte sorgen Sie für Ordnung im Haus, die Stachowiaks im dritten Stock direkt über mir machen Lärm, der Mann hat gesagt, sie haben umgeräumt, aber das kann nicht stimmen, weil es jetzt schon drei Nächte so geht! Unmöglich zu schlafen! Unternehmen Sie etwas!
Hochachtungsvoll
Horst Kurbjuweit
Danach war Ruhe. Jeden Abend hat er sich hingelegt und gewartet, dass es wieder schurren würde. Eine trügerische Ruhe.
Jetzt liegt Kurbjuweit auf seinem Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, im Dämmerlicht. Er hasst die Nacht und ihre Dunkelheit, aber damit der Schein der Deckenlampe nicht durch die Jalousie nach draußen dringt, lässt er die Tür zum Flur offen und dort die Lampe an. Nachts mag er keine geschlossenen Türen, die Wände drücken ihn zusammen. Er denkt an den alten Polen, wie er ihm im Treppenhaus begegnet ist, wie er Kurbjuweit mit seinem steingrauen Blick angesehen hat. Jahrzehntelang war die ewige Nacht und Finsternis der Felsen die Heimat dieses Mannes gewesen, sicher war es sein Heimweh, das ihn in die Tiefe des Wohnblocks, in den Keller trieb, und wer weiß, welche Geheimnisse er dort hütete.
Und jetzt fängt es wieder an. Das Schurren und Scharren ist wieder da, als krieche ein Tier dort oben, von der Tür zur Wand, zum Fenster und zur Tür. Hin und her, Kurbjuweit schließt die Augen, ballt die Hände, damit die Nägel nicht auf Steinen kratzen müssen. Es rauscht in seinem Kopf, so müde ist er, doch muss er aufstehen und fort.
Er wälzt sich und stöhnt, stellt die Füße auf den Boden, hält den Kopf in den Händen, zerquetscht den Schwindel, steht und schwankt und nimmt seine Wanderung auf. Sie wird kurz, es sind die drei Schritte in den Flur, in die Küche, auch dort hört er es noch, aber leiser, viel leiser, man könnte es fast überhören, aber hier kann er nur sitzen, nicht schlafen. Soll er umziehen?
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