Die Oder Ich
Vaters Matratze liegt immer noch neben Mutters, es ekelt ihn vor gelben Flecken, er wollte sie doch fortschaffen, neulich schon.
Kurbjuweit wendet sich ab. Das Gesicht muss ich kühlen, denkt er, einen klaren Kopf will ich haben, sonst werde ich verrückt. Er öffnet die Tür zum fensterlosen Badezimmer und flutet entschlossen das Neonlicht gegen die Schwärze des Raumes, kann dem Gesicht im Spiegel nicht ausweichen, die graugelbe Haut, die aus dem Speck hervorquellenden Augen, Kurbjuhu bin ich, der Regenwurmesser, der Flüchtling mit den Froschaugen, auf der Flucht bin ich, in meiner eigenen Wohnung, wo soll ich hin? Er öffnet den Wasserhahn und lässt kaltes Wasser über seine Hände laufen, zwischen den Fingern durchrieseln, bis sie zittern, er formt sie zu einer Schale und beugt sich hinab.
Plötzlich hört er es wieder, noch lauter als zuvor, von oben natürlich. Kurbjuweit hebt sein nasses Gesicht. Das Lüftungsgitter! Aus dem Lüftungsgitter schwillt es an zu einem rhythmischen Brummen wie die Stimme der Hexe am Neujahrsmorgen, unterbrochen von unregelmäßigem Knistern. Und jetzt sieht er die fette Schmeißfliege, wie sie mit grün oszillierenden Flügeln aus dem Gitter kriecht, sich träge tastet von Strebe zu Strebe. Als sie sich niederfallen lässt zu einem torkelnden Flug, schreit Kurbjuweit laut auf, schlägt das Licht aus und stürzt in den rettenden Flur, die Tür hinter sich zuwerfend.
Dort steht er jetzt, nach Luft schnappend wie ein Ertrinkender, an die Füllung der Küchentür gelehnt und stößt winselnde Laute aus wie ein kleiner Hund.
15. Kapitel
In dem Horst Kurbjuweit einen Beschluss
mit weitreichenden Folgen fasst
Kurbjuweit denkt nach. So kann er nicht weiterleben. Auf Strümpfen tappt er leise umher, von der Küche ins Wohnzimmer und zurück.
Zuerst das Badezimmer. Wie sollte er den Schmeißfliegen den Zugang zu seinem Badezimmer verwehren? Das Lüftungsgitter liegt gleich unter der Decke, über der Dusche in zwei Meter dreißig Höhe. Kurbjuweit nimmt seinen ganzen Mut zusammen, er holt den Stuhl aus der Küche, stellt ihn in die Duschwanne, klettert hinauf, er zittert, er kann es nicht unterdrücken, er fürchtet sich – wenn ihm jetzt eines von den Tieren entgegenkommt! Er schafft es, das Gitter mit Zeitungspapier und Klebestreifen abzudichten. Danach tun ihm alle Knochen von der Anspannung weh, aber es geht ihm etwas besser, er hat etwas unternommen, er wehrt sich. Trotzdem ist es besser, sich künftig in der Küche zu waschen, er wird das Badezimmer nur noch betreten, wenn er auf Klo muss.
Beflügelt von dieser Tat, beginnt er noch am gleichen Tag, an seinem Schlafzimmerfenster die Ritzen zwischen den Lamellen der Jalousie mit den Blättern der ausgelesenen Wochenzeitung zu verschließen, bis die Klebestreifen aufgebraucht sind und Kevin ihm neue beschaffen muss. Nach und nach hat Kurbjuweit die Jalousie und eine breite Fläche um das Fenster herum dicht mit Zeitungspapier beklebt. Eine Notmaßnahme, vielleicht nicht von großer Wirkung, aber jedenfalls ohne Schaden.
Zwar lässt die Milchglasscheibe des Schlafzimmerfensters, das auf den Laubengang hinausgeht, keine Blicke durch. Aber entscheidend ist die Akustik. Wenn er die Stimme des alten Weibes, obwohl nur ein Flüstern, bis in das Wohnzimmer auf der südwestlichen Seite des Blocks gehört hat, kann man umgekehrt auch ihn von draußen, vom Laubengang her, hören. Das ist logisch gedacht und an dieser Erkenntnis kommt er nicht vorbei. Wie oft mochte er wohl belauscht worden sein?
Aber Kurbjuweit ist nicht zufrieden. Er kann nicht schlafen. Nachts rumpelt und schurrt es über ihm, und es ist, als würde es mit jeder Nacht schlimmer. Er wird sich nicht verrückt machen lassen. Er muss Ruhe bewahren. Er ist Herr seiner Sinne, weiß, was er tut und kann wohlüberlegte Entscheidungen treffen.
Zunächst: Man muss schweigsam sein, jedes Geräusch, das das Leben erzeugte, abdämpfen, auf ein absolutes Minimum beschränken, man muss vorsichtig sein in allen Bewegungen und mit Bedacht handeln, langsam, ohne Überstürzung oder Spontaneität. Aber kann man wissen, welche Geräusche man im Schlaf erzeugt, ob man spricht, gar Schreie ausstößt?
Immer, wenn er auf seinem Bett liegt und auf Geräusche horcht, während er sich doch nach Schlaf sehnt, nach einer Position sucht, in der er die Schmerzen in seinem kalten Rücken erträgt, wird er in der Strömung seiner Angst zu jenem Neujahrsmorgen getrieben, als ihn die Hexe
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